Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
heißt – oder besser: hieß – Gundula Merking. Doktor Gundula Merking. Kunsthistorikerin. Alter einundachtzig. Gestorben am sechsten November zweitausendundvierzig. Todesursache: spontane totale Auflösung der Zellverbände.»
«Sehr witzig. Und weiter?»
«Das wars schon.»
«Was soll das denn heißen? Woher habt ihr die Informationen? Oder habt ihr die Geburtsurkunde der Attentäterin unter den Trümmern gefunden?»
«Nicht doch. Wir haben aus den Aufzeichnungen der Überwachungskameras ein relativ gutes Gesichtsbild rendern können. Das Ganze haben wir wie immer mit den üblichen Datenbanken abgeglichen und Bingo.»
«Bingo was.»
«Wir haben sie gefunden. Hat zwar ein bisschen gedauert, aber immerhin.»
«Henning, gleich drehe ich durch. Wo habt ihr sie gefunden?»
«Unter den Patientendaten von Life-Aid , auch und besser bekannt als Ärzte ohne Kohle . Diese beknackten Mediziner, die den Leuten helfen, ohne Geld dafür zu nehmen.»
«Und was stand drin. In der Akte meine ich?»
«Patientendaten unterliegen der Vertraulichkeit, auch heute noch … nein, nein, ist ja schon gut, war nur 'n Scherz. Die alte Dame hatte ALS oder Amyotrophe Lateralsklerose, wenn du weißt, was das ist.»
«Sag es schon!»
«ALS ist eine degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems, die zu einer fortschreitenden und irreversiblen Schädigung der für die Muskelbewegungen verantwortlichen Nervenzellen führt. Also erst Muskelschwäche, dann Muskelschwund. Durch die Lähmungen der Muskulatur kommt es zu Bewegungs-, Sprach- und Schluckstörungen, Koordinationsproblemen und so weiter. Zum Schluss kriegt man nichts mehr runter und muss verhungern.»
«Und was haben die Dennoch-Mediziner mit ihr gemacht?»
«Nichts Nahrhaftes. Selbst wenn sie die entsprechenden Mittel gehabt hätten: ALS ist auch heute noch nicht heilbar.»
«Das heißt, unsere Attentäterin war unheilbar krank.»
«Sozusagen. Und wenn man den Gedanken weiterspinnt: Im Vergleich zu dem, was einen ALS-Patienten im letzten Stadium erwartet, war diese Form des Abgangs eindeutig die bessere Wahl.»
xxviii Die Sache mit dem lieben Geld
Geld braucht man bekanntlich nur für finanzielle Dinge. Tatsächlich ist Standardgeld, wie man es vor zwanzig Jahren kannte, seit der großen Finanzkrise und den damit verbundenen drastischen Wertberichtungen von Vermögen für die meisten Mitglieder der zum Schweigen gebrachten Mehrheit als allgemeines Tauschwertäquivalent passé. An die Stelle des alten Zahlungsmittels ist ein Hybridsystem aus Naturalwirtschaft und Tauschhandel getreten. Privatbankähnliche Kombinate puffern das große Problem der Naturalwirtschaft – Tauschmittel sind oft verderbliche Waren oder Tiere mit einem schnellen Wertverlust – leidlich ab, indem sie eine Quasi-Währung vorrätig halten, die in Form von Chips genannten codierten elektronischen Datenträgern den regionalen und überregionalen Warenverkehr vereinfacht und damit dem ursprünglichen Sinn von Geld – nämlich ein Tauschmittel zu sein, das immer gleichbleibenden Wert hat – relativ nahe kommt.
Für die vermögenden Eliten ist Geld im herkömmlichen Sinn, bedingt durch die hohe Spezialisierung der Restwirtschaft und des globalisierten Handels, natürlich nach wie vor unverzichtbar, denn Geld ist das einzige universelle Tauschmittel, das Handel über große Entfernungen möglich macht. Große internationale Finanzdienstleister mit exklusiver Klientel haben dafür gesorgt, dass zumindest in den lukrativen Nischen des Marktes alles so bleiben konnte, wie es war. Probleme der Anfangszeit, die unterschiedlichen Geld- und Warentauschsysteme auf lokaler Ebene kompatibel zu machen, haben sich mit der Einführung allgemein anerkannter Wechselkurssysteme erledigt. Die Entlohnung von Arbeitskraft erfolgt in einer Art Dreierpack: klassisches Bargeld in Form von Geldscheinen und Münzen, Waren und Chips. Das System ist leidlich wertstabil und innerhalb definierter geografischer Räume unkompliziert im Handling. Das altbekannte Zinsprinzip ist verschwunden. Weder werden Zinsen auf bestehende Guthaben gegeben, noch kann man gegen Zinsen leihen. Das schränkt den Spielraum der Beteiligten zwar ein, hat aber einen großen Vorteil: Banken und ähnliche Halsabschneider bleiben außen vor.
xxix Kalter Kater 1
Es hämmert an der Tür. Carsten leidet seit einiger Zeit an einer Art Dauerunpässlichkeit und versucht, das unangenehme Geräusch so gut es eben geht zu ignorieren, aber der Klopfer
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