Die Springflut: Roman (German Edition)
adäquates Geschenk überbracht wurde.
»Er ist ziemlich vernarrt in Topassteine.«
Als Bertil Magnuson sich ans Fenster stellte und von der hellen Morgensonne getroffen wurde, war er deshalb relativ gut gelaunt. Walikale war vom Tisch. Er war mit seinen Gedanken noch im Kongo, als er sein vibrierendes Handy aus der Tasche zog und den Anruf entgegennahm.
»Hier spricht Nils Wendt.«
Obwohl die Stimme, die Bertil Magnuson auf dem Band gehört hatte, viele Jahre jünger geklungen hatte als die in der Leitung, war es doch zweifellos dieselbe. Diesmal kam sie allerdings nicht vom Band.
Es war Nils Wendt.
Bertil Magnuson spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. Er hasste diesen Mann. Eine kleine Wanze, die eine Katastrophe auslösen könnte. Dennoch versuchte er, sich nichts anmerken zu lassen.
»Hallo, Nils, bist du in der Stadt?«
»Wo können wir uns treffen?«
»Warum willst du dich mit mir treffen?«
»Soll ich auflegen?«
»Nein! Warte! Du willst dich treffen?«
»Du nicht?«
»Doch.«
»Wo?«
Bertil dachte fieberhaft nach und sah aus dem Fenster.
»Auf dem Friedhof an der Adolf-Fredrik-Kirche.«
»Und wo dort?«
»An Olof Palmes Grab.«
»Um dreiundzwanzig Uhr.«
Die Verbindung wurde unterbrochen.
*
Ovette Andersson trat alleine aus dem Haupteingang, es war kurz nach zehn. Sie hatte Acke gegen seinen Willen zum Hort begleitet, weil sie mit jemandem über seine blauen Flecken sprechen wollte. In der letzten Zeit war er zwei Mal nach Hause gekommen und am ganzen Körper grün und blau gewesen. Er hatte versucht, es vor ihr zu verbergen, denn sie sahen sich morgens ja fast nie, aber als er sich eines Abends auszog, hatte Ovette zufällig die Tür geöffnet und seine blauen Flecken gesehen.
»Was hast du gemacht?«
»Was meinst du?«
»Du hast ja überall blaue Flecken.«
»Die sind vom Fußball.«
»Da schlägt man sich so grün und blau?«
»Ja.«
Daraufhin hatte Acke sich ins Bett gelegt und Ovette in der Küche am Fenster gesessen und sich eine Zigarette angezündet. Fußball?
Die blauen Flecken ihres Sohnes waren ihr nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Zwei Nächte später, als sie nach einer Nachtschicht heimkam, hatte sie sich in sein Zimmer geschlichen, vorsichtig die Decke weggezogen und sie wieder gesehen.
Sein Körper war von grünblauen Flecken und großen, verschorften Wunden übersät gewesen.
Daraufhin hatte sie beschlossen, mit den Erziehern im Hort zu sprechen.
»Nein, er wird hier nicht gemobbt.«
Ackes Erzieherin sah sie verständnislos an.
»Aber er hat doch überall blaue Flecken«, entgegnete Ovette.
»Was sagt er denn dazu?«
»Dass sie vom Fußball sind.«
»Und das sind sie nicht?«
»Solche doch nicht. Sie sind überall!«
»Nun ja, ich weiß nicht, bei uns wird er jedenfalls nicht gemobbt. Wir haben ein besonderes Programm entwickelt, um Mobbing und Gewalt zu verhindern, und wenn etwas passiert wäre, hätten wir es auf jeden Fall gemerkt.«
Mit dieser Auskunft musste sich Ovette zufriedengeben.
Und mit wem sollte sie jetzt sprechen? Sie verfügte über kein soziales Netzwerk, hatte keinen Kontakt zu den Nachbarn. Ihre Bekannten arbeiteten auf der Straße und interessierten sich nicht für die Kinder der anderen. Es war ein heikles Thema.
Ovette verließ das Hortgelände und fühlte sich plötzlich unendlich einsam. Und verzweifelt. Sie ließ ihre ganze hoffnungslose Existenz vor ihrem inneren Auge Revue passieren. Ihre Unfähigkeit, etwas anderes zu machen, als anschaffen zu gehen. Ihren gezeichneten Körper. Alles. Und nun sah sie, dass ihrem einzigen Kind übel mitgespielt wurde, und hatte keinen, an den sie sich wenden konnte. Niemanden, der ihr zuhören, sie trösten oder ihr helfen könnte. In der ganzen leeren Welt gab es nur sie und Acke.
Sie blieb an einer Straßenlaterne stehen und zündete sich eine Zigarette an. Ihre rauen Hände zitterten. Nicht wegen des kalten Windes, sondern wegen etwas viel Kälterem, das aus ihrem Inneren kam, aus einem dunklen Schlund in ihrer Brust, der bei jedem Atemzug wuchs und nur darauf wartete, dass sie nachgab. Hätte es einen Geheimausgang aus ihrem Leben gegeben, sie hätte ihn genommen.
Aber dann fiel ihr doch noch ein Mann ein, der ihr vielleicht würde helfen können.
Sie waren gemeinsam in Kärrtorp aufgewachsen, hatten im selben Mietshaus gewohnt und waren sich im Laufe der Jahre immer wieder über den Weg gelaufen. Das letzte Mal lag zwar schon recht lange zurück, aber trotzdem. Wenn sie sich
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