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Die Spur der verlorenen Kinder

Die Spur der verlorenen Kinder

Titel: Die Spur der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.J. MacGregor
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nicht richtig, mich zu entführen. Es war nicht richtig, diese anderen Kinder zu holen. Und diesem Mädchen hast du Unrecht getan. Sie wird überleben, Pete. Da ist sie wie ich. Sie ist stark. Aber du musst sie zurück zu ihrer eigenen Familie bringen.«
    »Nein.« Wheaton wandte sich von ihm ab, er musste das Mädchen unbedingt zurück in den Schuppen schaffen. Er nahm ihre Arme und begann sie durch die Piniennadeln in Richtung seines Trucks zu zerren, aber sie war schlaff, und er fühlte sich schwach, verbraucht, alt.
    Vor Jahren, kurz nachdem er zum ersten Mal durch den Korridor gekommen war, als es noch einigermaßen gut stand zwischen ihm und seiner Frau, hatte er sich nach dem Sex so gefühlt, verbraucht, alt, geschafft – trocken und zerbrechlich wie ein Zweig. Er erinnerte sich daran, zum Deckenventilator hochgeschaut zu haben, einem alten Modell, einer Antiquität von Julias Großmutter aus einer Zeit, lange bevor es Klimaanlagen gab. Er drehte sich mit entsetzlicher Langsamkeit und gab ein leises Klicken von sich, gleichmäßig wie das Ticken einer Uhr. Und in diesem Augenblick war ihm klar geworden, dass das Leben endlich war, das man zur Geburt eine bestimmte Anzahl Sekunden, Minuten, Stunden, Tage, Monate und Jahre bekam, und sie tickten dahin, man marschierte unausweichlich in Richtung des schwarzen Vakuums namens Tod. Und zwischen dieser Erkenntnis und dem nächsten Atemzug hörte einigermaßen gut auf, ihm zu reichen. Er verschrieb sich voll und ganz der Erforschung des Korridors.
    Und jetzt war er hier, auf der anderen Seite des Korridors, und zerrte ein junges Mädchen zu seinem Truck, sein Adoptivsohn starrte ihm Löcher in den Rücken, und er fühlte sich genau wie in jener Nacht von damals, den kalten Atem der Zeit im Nacken.
    »Mein Kleiner, wann wollen wir ein bisschen Spaß haben?«
    Er und Evie sind auf dem Dachboden, sie liegt auf der Matratze auf dem Boden, direkt unter dem Fenster. Ihre Beine strecken sich hoch in die Luft, ihre schlanken Finger stützen ihren unteren Rücken, und jetzt, während er zusieht, senkt sie ihr rechtes Bein in Richtung ihres Kopf, immer noch kerzengerade, die Zehen leicht gekrümmt. Als die Zehen ihres rechten Fußes den Boden berühren, führt sie ihr linkes Bein in die entgegengesetzte Richtung. Sie ist ganz nackt.
    Das weiche, gedämpfte Licht, das durch das schmutzige Fenster fällt, liebkost ihren wundervollen Hintern, streichelt ihre herrlichen Beine. Ihr Kopf ist ihm zugewandt, aber so wie sie liegt, befindet sich ihr Gesicht vollständig im Schatten. Er kann ihre Züge nicht ausmachen. Das ängstigt ihn.
    »Nenn mich nicht ›Kleiner‹«, sagt er und konzentriert sich wieder auf das Buch, aus dem er ihr vorliest, eine mitgenommene Ausgabe von Lolita, die er für fünf Dollar in der Schule gekauft hatte.
    Die Uhr tickte, oh ja. Der 1. Juli nahte, und er hätte nur eine Chance.
    Er strengte sich an, er zog fester an den Armen des Mädchens, und plötzlich hoben sich ihre Beine in die Luft. »Du brauchst einen Therapeuten«, sagte Rusty und eilte, seine kräftigen Hände um die Knöchel des Mädchens gelegt, vorwärts. »Du brauchst professionelle Hilfe, Pete. Ob ambulant oder anders, ganz egal.«
    »Halt den Mund«, herrschte ihn Wheaton an. »Halt einfach den Mund.«
    Sie legten Annie hinten in den Truck und das Schweigen zwischen ihnen war so dicht und schrecklich, dass Wheaton verstand, dass gerade etwas Irreversibles geschehen war, etwas Tragisches. »Es ist zu ihrem eigenen Besten«, sagte Wheaton. »Sie lebte in einer dysfunktionalen Familie, die …«
    »Deswegen hast du sie nicht geholt. Du willst, dass ich das glaube, aber ich weiß, dass es nicht stimmt, Pete. Also hör einfach auf, mir lauter verfickte Lügen zu erzählen.«
    »Nicht fluchen.«
    »Fick dich selber«, entgegnete er und zuckte nicht einmal zusammen, als Wheatons Faust hochflog. Rustys Arm schoss nach oben, ein kräftigerer und muskulöserer Arm als Wheatons. »Bring mich nicht dazu, dir wehzutun, Pete.«
    Wheatons Arm sank herunter. Er wandte sich ohne ein weiteres Wort ab, stieg in seinen Truck und fuhr zurück zum Haus, im Rückspiegel hielt er Ausschau nach Rustys Wagen. Er spürte eine eigenartige Mischung aus Erleichterung und Befriedigung, als der hinter ihm einbog.
    Er fuhr auf den Rasen und dann mit dem Truck so weit zwischen die Bäume, wie es ging, schließlich hielt er an. Rusty stieg aus, Sunny blieb wie angeklebt neben ihm, dann half er Wheaton, Annie aus dem Truck

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