Die Spur der Zugvoegel - Muensterlandkrimi
unkorrekt.« Der Größere zog seine Jacke glatt. Sie hätte ihm am liebsten eins auf seine platte Nase gegeben, riss ihr Portemonnaie aus der Tasche und drückt ihm ihren letzten Zwanziger in die fette Hand. Der Kleinere quittierte, und sie trollten sich grinsend.
»Penner«, murmelte sie und hoffte, sie hätten es nicht mitbekommen, um nicht auch noch eine Beleidigungsanzeige einzustecken. Hatten die nichts anderes zu tun, als telefonierende Radfahrer abzustrafen? Außerdem Mark. Sie hatte sich tatsächlich mit ihm verabredet. Sie musste nicht ganz bei Trost sein. Allerdings war bis morgen noch lange hin.
Mit einem Taschentuch versuchte sie, die gröbsten Flecken von der Kleidung zu reiben. Mit zweifelhaftem Erfolg. Trotz der wärmenden Sonnenstrahlen zog sie ihre Jacke über. Als sie am Finanzamt ankam, stand ihr der Schweiß auf der Stirn. Julia fand das Büro von Herrn Stippel im ersten Stock, wobei ihr der Polizeiausweis über den übellaunigen Pförtner hinweghalf. Farblich kontrastierend zu den soliden Möbeln in behördengrau trug Herr Stippel Hemd und Glatze in rosa und schenkte ihr ein frisch gewaschenes Lächeln.
»Was kann ich für Sie tun, Frau Morgenstern?« Mit einer Handbewegung bot er ihr einen der Besucherstühle vor seinem Schreibtisch an.
»Sie arbeiten noch nicht lange hier, oder?« So zuvorkommend hatte Julia das Finanzamt bisher nicht erlebt.
Stippel nickte. »Seit drei Monaten. Aber ich finde Coesfeld großartig.«
»Großartig«, sagte sie. »Könnten Sie mir bei meiner Suche denn behilflich sein?«
»Ich habe die Akte von Frau Lux nach unserem Telefonat gleich rausgesucht.« Er zog einen Ordner heran und schlug ihn auf. Selbst seine Finger waren rosig. »Was wollen Sie wissen?«
»Eigentlich alles, was mir helfen könnte, sie zu finden. Das Einwohnermeldeamt hatte ihre aktuelle Adresse nicht. Die kenne ich ja inzwischen, dank Ihrer Mitarbeit.«
Er sah kurz auf und senkte den Blick verschämt in die Akte.
»Wissen Sie, wo sie gearbeitet hat, bevor sie im Casino anfing?« Vielleicht gab es dort Bekannte, Freunde oder Familienangehörige.
Er blätterte und biss sich auf die Unterlippe. »Gar nicht.« Noch ein paar Seiten zurück. »Hier. Oh.« Seine Stirn legte sich in Falten. »Das ist drei Jahre her.«
»Und wo?«
»In einem Restaurant namens Up de Tenne . Für acht Monate steuerpflichtig beschäftigt.« Er griff nach einem anderen Ordner. »Dann nichts mehr bis vor fünf Monaten. Anfang März wurde sie vom Casino angemeldet. Hilft Ihnen das?«
»Ist sie verheiratet? Hat sie Kinder?«
Verwunderung überflog sein Gesicht. »Ledig. Ist sie nicht ein wenig jung für Kinder?«
»Haben Sie das Geburtsdatum?«
Stippel schrieb es auf ein Blatt, das er aus dem Papierschacht des Druckers nahm und schob es über den Tisch. Sechsundzwanzig war nicht gerade ein Alter, in dem man keine Familie hätte gründen können. Aber Julia hatte sich bis jetzt ja auch zu jung dafür gefühlt. Wer weiß, welches Leben Rose Lux bisher geführt hatte? Ein abgeschiedenes, wie es Julia vorkam.
»Was ist mit Eltern?«
»Dazu habe ich hier nichts. Der Name ist mir auch noch nicht untergekommen, aber Sie wissen ja, dass ich noch nicht lange hier bin. Moment.« Sein Rumpf zuckte zurück, er saß kerzengerade am Schreibtisch und hob den Zeigefinger. Unvermittelt und überraschend behände für seine Fülle sprang er auf und verließ den Raum. Wenige Minuten später war er mit einem Männlein in den Sechzigern zurück.
»Darf ich vorstellen? Frau Morgenstern von der Kripo.« Bei »Kripo« machte er ein bedeutungsvolles Gesicht. »HerrLensing, mein Kollege.« Nun lächelte Stippel, als habe er eine Trophäe präsentiert. »Er kennt viele«, er lachte jovial, »ach was, alle Coesfelder Familien.«
Der Dünne zog die Bügelfalte seines fadenscheinigen Anzugs hoch und setzte sich. Sein Gesicht hatte etwas von einem unfreundlichen Kaninchen. »Kann ich Ihre Legitimation sehen«, fragte er mit einer Stimme aus Holz.
Julia zeigte sie ihm. Er schien misstrauischer als sein Kollege.
»Herr Stippel hat mich unterrichtet. Ja, ich kenne eine Familie Lux. Aber ob Ihre Gesuchte zu der Familie gehört, weiß ich nicht. Sie leben sehr zurückgezogen, seit sie den Hof beziehungsweise das Land verpachtet haben.«
»Wo finde ich sie?«
»Goxel. Ich habe es herausgesucht.« Er gab ihr einen Zettel.
Julia bedankte und verabschiedete sich in der Hoffnung, endlich irgendeinen Menschen zu treffen, der Rose Lux
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