Die Spur der Zugvoegel - Muensterlandkrimi
Fortuna liebte mich. Es war ein gigantisches Gefühl.
Als ich eines Nachts nach Hause kam, war das Bett leer. Meine Kehle wurde trocken. Ich suchte sie und fand ihre Haarbürste. Für einen Moment musste ich mich auf den Wannenrand setzen, nahm das Bündel Scheine aus der Tasche und strich darüber. Ich hatte Glück gehabt. Alles andere konnte warten. Ich wartete bis zwei, lauschte in die Nacht, starrte auf den Monitor, nichts geschah. Meine Figuren steckten fest. Keine Idee, wie es weitergehen könnte. Draußen hielt ein Wagen, ich hörte Schritte auf der Treppe, leises Klicken im Schloss und das Rascheln von Stoff.
»Wo kommst du her?« Mit wenigen Schritten war ich im Flur. Plötzlich war die Wut da.
»Von der Arbeit.« Gelassen stellte sie ihre Tasche ab und pellte sich aus dem Mantel, auf dem die ersten Schneeflocken schmolzen.
»Erzähl mir doch keinen Scheiß.«
Sie sah mich groß an, das Gesicht gerötet, mit glänzenden Augen. »Was ist los mit dir?«
Ich packte sie an den Schultern: »Wo bist du gewesen?«, und schüttelte sie. Quecksilber in meinen Adern, kalt und schnell. Sie blieb stumm mit schmalem Mund. Eine Ewigkeit starrte ich ihr in die Augen. Das Honigbraun verkam zu einem flachen Falb. Als ich sie losließ, schlug sie mir ins Gesicht. Blitzschnell schlug ich zurück, und ihre Lippe platzte auf. Ihr Blick hielt.
»Das tust du nie wieder.«
»Wo bist du gewesen?«, hörte ich mich fragen.
»Ich habe es dir gesagt.« Damit stapfte sie davon und knallte die Tür vom Bad zu. Diese Nacht verbrachte sie auf dem Sofa. Ab da kam sie immer um zwei, und ich verlor.
Eine der beiden Wodkaflaschen hatte ihr erstes Drittel eingebüßt, allmählich wurde ich ruhiger. Ich sah zu ihr hinüber. Sie war schöner denn je. Honey. Ich spürte, wie meine Lippen die Laute formten.
Ich habe deinen Namen gerufen. Du bist mein.
Als ich erwachte, war es hell.
17
»Unsere Aufgabe hat sich gerade geändert«, sagte Julia und sah weiter in den Regen. Zwei beigefarbene Omas mit hellblauen Schirmen wackelten vorbei. Der Tag nahm seinen Lauf, ein ganz besonderer Tag für Rasid Chalid, sein Todestag.
»Wir besuchen jetzt nicht Felix Segbert?« Conrad hatte sich gefasst und ließ den Motor an. Gefasst wie Stein.
»Doch. Aber nun sucht ihr nach Mördern.«
»Mann, Julia, geht’s vielleicht halb so dramatisch? Wie die ganze Sache zu beurteilen sein wird, hat irgendwann das Gericht zu entscheiden.« Seine Worte zischten durch die Zähne.
Die Theodor-Heuss-Schule und das Nepomuceum lagen in einem gemeinsamen Komplex, dem Schulzentrum, ein Bau aus den Achtzigern mit einem großen Parkplatz für die Besucher der Sporthallen. Die ersten Schüler standen in Grüppchen auf dem Schulhof, Busse hielten und spuckten verschlafene Jugendliche in Röhrenjeans und mit MP3-Player aus.
Um diese Stunde war es nicht so einfach, jemanden zu finden, der Auskunft geben konnte. Julia folgte Conrad durch die Flure, bis sie nach mehrmaligem Nachfragen das Zimmer der Schulleitung erreichten. Sie durchquerten das leere Sekretariat, dessen Fenster von Grünpflanzen zugewuchert waren und betraten das Büro des Schulleiters. Der Mann hinter dem Schreibtisch mochte die Fünfzig gerade überschritten haben. Er blickte über den Rand seiner Brille und hinter Bergen von Akten, Dokumenten und Ordnern hervor. Sein Schreibtisch wirkte wie ein Tatort nach einem Attentat, er selbst, morgenfrisch und gebügelt, wie ein Fremdkörper an diesem Ort.
»Sie müssen sich einen Termin holen, wenn Sie mich sprechen wollen. Oder besser noch, sich zum Elternsprechtag anmelden.«
Julia und Conrad stellten sich vor. Der Mann, der Schreiber hieß, machte ein langes Gesicht, bis sie ihm gesagt hatten, nach wem sie suchten. Dann lehnte er sich zurück und faltete die Hände über seinem ansehnlichen Bauch.
»Felix kommt nur unregelmäßig zur Schule. Das Jugendamt ist eingeschaltet. Es gab einige Gespräche mit der Mutter. Wahrscheinlich schafft er den Abschluss nicht. Was wollen Sie von ihm?«
Conrad und Julia setzten sich, ohne dass ihnen Platz angeboten worden wäre.
»Er ist ein Freund von Rasid Chalid, den man zusammengeschlagen hat.« Sie wollte nicht aussprechen, dass der Junge tot war.
»Ja, Rasid. Der kommt auch nur manchmal. Jetzt schon länger nicht, obwohl es seit ein paar Jahren auch für die Ausländer eine Schulpflicht gibt, aber da haben wir wenig Einfluss.«
»Den benötigen Sie jetzt nicht mehr. Rasid ist tot.«
Julia beobachtete, wie die
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