Die Spur der Zugvoegel - Muensterlandkrimi
Anruf kam, hatte sie sofort eine Ahnung, dass dieser Plan durcheinandergeraten würde. Sven. Er hatte Rolf Lux, den Vater von Rose, erreicht, was angeblich völlig problemlos gewesen sei. Der Mann habe frei bis Mittag, und wenn sie etwas von ihm wollten, solle eben jemand vorbeikommen. Und Fels habe gesagt: »Sie soll sich gefälligst um den Fall kümmern und nach Münster scheren, wenn sie so scharf auf Arbeit ist. Sonst kann sie sich auf was gefasst machen.« Das richtete Sven wörtlich aus, und Julia konnte seine Genugtuung hören.
Eine Weile hatte sie böse das Telefon angestarrt, aus dem sie die Mitteilung empfangen hatte. Der Bote schlechter Nachrichten … Okay, also nach Münster. Hätte sie die Telefonnummer von Mark, könnte sie sich nach dem Termin mit ihm auf einen Kaffee treffen, was deutlich unverfänglicher wäre als die Verabredung am Abend. Andererseits war sie zu nichts verpflichtet, aber inzwischen ärgerte sie sich, dass sie zugesagt hatte.
Im Radio lief »The youth oft today« während sich der Verkehr auf der A 43 staute, Amy Macdonald. Kein Unfall, keine Baustelle, einfach so. Als es weiterging, entzifferte Julia ein Graffito, an ein Brückengeländer gesprüht. DEVIANTS. Wenn sie nicht geahnt hätte, dass sich hier eine Gruppe von Fans des SC Preußen verewigt hatte, nicht eine der friedlichsten, hätte sie sich verbunden gefühlt. Immer dieses Gefühl, am falschen Ort zu sein, das Falsche zu tun, nie genug, nie richtig zu sein. Sie kicherte bei dem Gedanken, dass sie zumindest etwas mit den Fußballfans gemein hatte. Vielleicht sollte sie Bayer danach fragen. Wussten Therapeuten nicht, was man mit solchen Empfindungen tat? Und konnte man Devianz therapieren? Oder war es nur … Vielleicht war man ja nicht überall anders? Großvater war auch am falschen Ort, in der falschen Zeit, von Geburt an der falschen Gruppe zugehörig gewesen.
Sie erreichte das Nordkreuz und ließ sich vom Navigationsgerät in Richtung Bremen führen. In drei Stunden wäre sie am Meer, wenn sie einfach der Straße folgen würde. Aber sie bog nach Münster-Nord ab.
Die Gegend, in die sie geleitet worden war, kam ihr bekannt vor, obwohl ihr Orientierungssinn nur ansatzweise entwickelt war. Vielleicht sah in Münster-Kinderhaus auch alles sehr ähnlich aus. Nein, sie war sicher: In der nächsten oder übernächsten Seitenstraße war das Fenster ihres Wagens eingeschlagen worden.
»Sie haben Ihren Bestimmungsort erreicht«, sagte die Dame im Navi. Ein paar Meter weiter fuhr ein Corsa aus einer Parklücke, und Julia klemmte ihren Golf hinein. Glück gehabt. Es regnete wieder. Kein Wunder, in Münster regnete es immer, jedenfalls immer, wenn Julia dort war. Die Fassaden wirkten wie in die Jahre gekommene Ehefrauen schwer beschäftigter Handelsvertreter. Aber solche gab es hier in der Gegend nicht.
Lux wohnte im dritten Stock. Die Gegensprechanlage krächzte nur und die Tür blieb geschlossen, obwohl Julia geklingelt hatte. Eine Schwangere, deren Locken noch die Weichheit von Kinderhaar hatten, um ihren Mund die Enttäuschung früher Jahre, versuchte ihren Kinderwagen durch die Tür zu zwängen. Julia hielt sie auf, und die Frau schob sich an ihr vorbei. Der Treppenaufgang war mit Graffiti beschmiert, und es roch, wie es in solchen Häusern eben riecht, nach Gleichgültigkeit und Armut. Auf der Fensterbank im zweiten Stock schaute eine Engelsfigur einem Ficus benjamini beim Abwerfen seiner Blätter zu. Lux erwartete sie an der Wohnungstür. Wahrscheinlich hatte er einmal ziemlich gut ausgesehen, hatte immer noch kräftiges Haar, das er im Nacken zu einem Zopf gebunden trug. Aber seine Hautfarbe hob sich kaum von der seines verwaschenen hellen T-Shirts ab, und die Ringe unter seinen Augen blickten auf eine endlose Zahl schlafloser und sicher nicht abstinenter Nächte zurück. Er sah Julia fragend an.
»Morgenstern, Kripo Coesfeld. Es geht um Ihre Tochter.«
Keine Regung.
»Wollen wir vielleicht ...?« Julia streckte die Hand in Richtung des Flurs aus, der hinter der Tür lag, und Lux trat einen Schritt zur Seite, um sie hereinzulassen.
»Sie sind doch Rolf Lux, der Vater von Rose Lux?« Plötzlich kamen Julia Zweifel.
»Ja. Hat sie was angestellt?« Er blieb mitten im Flur hinter ihr stehen, und Julia war gezwungen, sich umzudrehen. Aus der Küche zog ein Geruch nach zerlassener Butter heran, ein spätes Frühstück vielleicht oder ein frühes Mittagessen, überhaupt ein Essen. Lux sah nicht aus, als ob er
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