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Die Spur der Zugvoegel - Muensterlandkrimi

Die Spur der Zugvoegel - Muensterlandkrimi

Titel: Die Spur der Zugvoegel - Muensterlandkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kuhlmeyer
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Niesel, der die Kleider durchdrang.
    »Was Neues?« Und nichts Gutes. Julia konnte ein Beben in ihrer Stimme nicht unterdrücken.
    »Rasid.«
    »Was?« Sie packte ihn an der Schulter.
    »Tot.«

16
    Ein Mädchen mit jeder Menge Metall in Gesicht und Ohren reichte mir zwei Flaschen Wodka, eine Tüte Gummibärchen und eine Flasche Wasser aus dem Fensterchen, das für die Nachtkunden geöffnet war, Brandy hatte sie nicht. Ich bezahlte die Tankfüllung und meine Einkäufe und fragte die Eisenbraut, ob ich hinter dem Tankstellenshop eine Weile parken dürfe.
    Sie kaute ihren Kaugummi einmal rechts herum und einmal links herum, bevor meine Frage zu ihr durchdrang. Dann nickte sie und schloss das Fenster. Ich fuhr den Wagen hinter das Gebäude und hielt an einem Maschendrahtzaun, der ein hell erleuchtetes Gewerbegebiet abgrenzte. Schlafen, endlich schlafen.
    Der Schlaf ist der Bruder des Todes, hatte Vater oft gesagt und damit den konsequenten Rückzug in sein Arbeitszimmerbegründet. Ich erinnerte ihn nur in permanenter Abwesenheit. Manchmal erstaunte er mich jedoch, zum Beispiel als er mir eine kleine Notiz aus der Tageszeitung zukommen ließ, aus dem Lokalteil. Man habe ihre Leiche gefunden, stand darin, dazu ein Hinweis auf das Badeverbot wegen der Lebensgefahr, aber kein Wort, was mit ihr geschehen war.
    Zwei Wochen später ihre Todesanzeige mit einem ominösen Text:
    Fürchte dich nicht,
    denn ich habe dich erlöst.
    Ich habe dich bei deinem Namen gerufen.
    Du bist mein.
    Jesaja 43, 1
    Mein Brustkorb wurde eng, als ich las: »Du bist mein.«
    Wer hatte nur diesen Unsinn drucken lassen? Ich kannte keinen, der sich so wenig gefürchtet hätte wie Isabell. Trotzdem war sie gestorben, jung und vor meinen Augen. Das Echo des Knalls hatte mich nachts geweckt, wieder und wieder, eine Zeit, die mir endlos erschien. In Phasen, in denen es mir gut ging, ich an nichts Böses dachte, knallte es immer noch und schreckte mich aus dem Schlaf. Und dann wieder schoss mir ihr Bild in den Kopf, nicht als eine dieser Erinne­rungen, wie sie langsam auftauchen, von der Zeit gnädig in Sepia gehüllt, sondern, als sähe ich sie in diesem Moment, als würde es in diesem Augenblick geschehen, als könnte ich sie retten. Aber ich konnte nicht, genauso wenig, wie ich Florian gerettet hatte. Ich taugte nicht zum Retter. Den Kopf hatte ich mir zerbrochen, was mit ihr geschehen sein mochte, und auch in Erwägung gezogen, dass der Knall nichts mit ihrem Tod zu tun haben könnte. Ich war zu nur einem Ergebnis gekommen. Man stirbt nicht mit Ende Zwanzig.
    Ein Wagen fuhr an eine Zapfsäule und schaltete den Motor aus. Ich hörte Stimmen und Lachen, kurz darauf fuhr der Wagen weiter. Ich öffnete die Wasserflasche und trank sie halb leer.
    Am liebsten hätte ich Isabell vergessen, aber sie ließ sich nicht vergessen. Ich schraubte die Wodkaflasche auf, das Zeug schmeckte grässlich. Mein Körper erinnerte sich an sie, selbst noch, als Honey da war. Oder besonders, je länger sie da war.
    Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.
    Isabell. Honey.
    Mutter hatte sie von Anfang an nicht leiden können. Die ist nichts für uns, hatte sie gesagt. Sie hatte Isabells Rücken nachgelächelt, als sie ging. Ich sah es, und sie wandte sich ab. Du kannst wieder heimkommen, zischte sie mir zu, während Honey schon ihre Sachen auspackte, ihre Küchenmesser einräumte und ihre Haarbürste in meinem Bad ablegte.
    Ich fuhr mir durchs Gesicht. Kein Schlaf wollte kommen. Der Regen fiel in feinen Schnüren im Licht der Laternen.
    Honey gab den Job im Up de Tenne auf. Ich finde schon was Neues, sagte sie. Aber sie saß neben meinem Schreibtisch und sah zu, wie ich schrieb.
    »Du kannst nicht hier sitzen und mir zusehen«, sagte ich an einem Novembermorgen.
    »Was soll ich denn sonst machen?«
    »Such dir Arbeit.«
    »Ich habe schon Arbeit.« Damit stand sie auf, ging in die Küche und kochte etwas, das betörend duftete und exzellent schmeckte. Dann schlief ich mit ihr.
    Am Tag darauf saß sie wieder neben meinem Rechner und sah mich an. Der Abgabetermin für meine Story rückte näher. Es machte mich wahnsinnig, jemanden neben mir sitzen zu haben. Sie wusste das, musste es wissen. Ich schrie sie an und der Streit schlug sich durch alle Räume, bis ich meine Jacke nahm und ging. Ich wusste, wo ich hin musste. Es gibt Orte, die einen aufnehmen und festhalten, gleichgültig, was ist. An dem Abend gewann ich und am nächsten auch. Ich gewann an jedem Abend.

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