Die Staatskanzlei - Kriminalroman
telefoniert. Gesehen haben wir uns nicht sehr oft. Wir sind, äh … waren beide beruflich sehr eingespannt, für private Treffen blieb nicht viel Zeit. Trotzdem vermisse ich ihn. Eine jahrzehntelange Freundschaft ist heutzutage alles andere als selbstverständlich. In den schlimmen Monaten nach dem Unfall meiner Frau war Alexander für mich da. Man merkte es ihm nicht an, aber er hatte eine sensible Seite.“
Die er allerdings wie einen wertvollen Schatz gehütet hat, ging es Verena durch den Kopf. Hackmann hatte sie offenbar als Einziger kennengelernt. Verena überlegte, ob sie dem Anwalt noch ihr Beileid zum Tod seiner Frau aussprechen sollte. Der tödliche Unfall an der Autobahn-Anschlussstelle Anderten war durch die Presse gegangen. Sie entschied sich dagegen. Was brachte es, alte Wunden aufzuwühlen?
Der Anwalt kam ungefragt auf das Testament seines ermordeten Freundes zu sprechen. Er hatte es zeitweise in seiner Kanzlei aufbewahrt. Wenige Tage vor seinem Tod war Alexander vorbeigekommen und hatte es an sich genommen. Er wollte es ändern. Seine Tochter sollte Alleinerbin werden. Ob es noch dazu gekommen war, wusste er nicht. Das sei aber letztlich egal. Wenn kein Testament gefunden würde, wäre Karla ohnehin die einzige Erbin. Er brachte die notwendigen Formalitäten zur Sprache: Erbschein beantragen, Bankgespräche führen, Erbschaftsteuererklärung abgeben, Lebensversicherung einfordern und so weiter.
„Und falls er es nicht geändert hat und es gefunden wird, bekommt Gabi Eggers den Bungalow?“
Der Anwalt nickte. Verena notierte in Gedanken, dass die Exgeliebte in diesem Fall ein Motiv hätte. Ihr Besucher bat nun doch um ein Glas Wasser. Während sie es ihm einschenkte, fuhr er mit seinem Bericht fort.
„Ich habe Irene gestern besucht. Ehrlich gesagt war ich entsetzt über die Behausung, in der Karla und sie leben. Ich versteh nicht, wie Alexander das zulassen konnte.“
„Hat Ihr Freund jemals erwähnt, dass er sich bedroht fühlte?“, brachte Verena das Gespräch erneut auf den Mordfall. Hackmann überlegte nur kurz. „Nicht, dass ich wüsste. Er hat mir gelegentlich von Streitereien in der Kollegenschaft erzählt, aber von Drohungen, nein, ganz bestimmt nicht.“
„Hat er den Namen Britta König erwähnt?“, hakte Verena nach.
„Ja, wiederholt. Er konnte die Frau nicht leiden, wollte sie in eine nachgeordnete Landesbehörde abschieben. Kündigen geht im öffentlichen Dienst ja nicht.“
Verena ging auf die Feststellung des Anwalts nicht weiter ein. „Können Sie sich vorstellen, dass Frau König mit dem Mord etwas zu tun hat?“ Ein nachdenklicher Ausdruck machte sich auf dem Gesicht ihres Gegenübers breit. „Vorstellen kann ich mir vieles. Aber ich kenne die Dame nur vom Hörensagen. Bei unserem letzten Treffen, das muss zwei oder drei Wochen her sein, war er wie immer, ging voll in der Planung seiner nächsten Karriereschritte auf. Er sollte Leiter der Staatskanzlei werden. Das war es, was ihn umgetrieben hat. Von Bedrohungen war keine Rede.“
Interessant, dachte Verena. Meyer hatte zwar Gerüchte erwähnt, aber dass Haders offenbar kurz vor seiner Entlassung gestanden hatte, hörte sie in dieser Deutlichkeit zum ersten Mal. Sie wandte sich erneut ihrem Gegenüber zu. „Und seine engste Mitarbeiterin, Gesine Terberg, hat Ihr Freund die erwähnt?“
Auf dem Gesicht des Anwalts erschien ein nachdenklicher Ausdruck. „Ach die. Die Frau ist nicht ganz richtig im Kopf. Vorher war sie in der Pressestelle. Der Regierungssprecher wollte sie loswerden. Von Stalking war die Rede. So hat Alexander es mir jedenfalls erzählt. Sie wurde ihm aufs Auge gedrückt. Die Frau hat sich ungemein wichtig genommen, aber alles für ihn getan. Sie ist wie ein Hund, hat Alexander gemeint. Er hat sich über sie lustig gemacht. Weshalb fragen Sie?“
„Das dürfte doch wohl klar sein. Ich suche nach Motiven und möglichen Tätern in Heises Umfeld.“
„Alexander hat sie nicht für voll genommen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“
Verena war noch nicht fertig. „Sie kennen seine Exfrau. Halten Sie es für möglich, dass sie mit dem Mord zu tun hat?“
Hackmann reagierte empört. „Wie kommen Sie denn darauf? Irene mag wütend auf ihn gewesen sein, aber umgebracht hätte sie ihn niemals. Eher hätte sie sich selbst etwas angetan.“
Es sprach einiges dafür, dass der Anwalt recht hatte. Depressive Menschen richten ihre Wut gegen sich selbst. Jedes Jahr brachten sich mehr als zehntausend
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