Die Staatskanzlei - Kriminalroman
Kommen Sie, Frau Kollegin, lassen Sie uns gehen. Hier riecht es muffig.“
Draußen empfing sie nasskaltes Wetter. Verenas Einladung zu einem Glas Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt wurde angenommen. Hirschmanns Erkältung musste als Vorwand herhalten.
Sie gingen die wenigen Schritte zum Burgplatz zu Fuß. Die malerische mittelalterliche Kulisse mit dem Dom St. Blasii, der Burg Dankwarderode und dem Gildehaus brachte Hirschmann ins Schwärmen. Er bestand auf einem Rundgang, blieb vor vielen der weihnachtlich geschmückten Stände stehen, kaufte Glaskugeln aus Thüringen und einen Weihnachtsengel made in China. Eine Einladung ins nostalgische Riesenrad, erbaut in den Goldenen Zwanzigern des vorigen Jahrhunderts, folgte. Verena erinnerte an die fortgeschrittene Zeit. Ihr Kollege fand, dass sie sich nach der vielen Arbeit der letzten Wochen eine Verschnaufpause verdient hatten. So fuhr sie mit ihm zwei Runden Riesenrad.
Dann ging es endlich zum Glühweinstand. Hirschmann bestellte zwei alkoholfreie Getränke. Während sie das kochend heiße Getränk schlürften, betrachtete Verena das Treiben um sich herum: viele gut gelaunte Menschen, darunter auch Männer und Frauen türkischer und arabischer Herkunft. Beim Blick in ihre fröhlichen Gesichter dachte sie: Männer wie der Imam mit seinen orthodoxen Ansichten mögen ein Ärgernis sein, aber eine Gefahr sind sie nicht. Nicht für unser Land. Sie können das Rad nicht zurückdrehen.
In ihre Gedanken hinein sagte Hirschmann: „Was diesen Mehmed angeht, ich gebe die Suche nach ihm nicht auf. In meinen Augen ist er nach wie vor verdächtig. Wer sonst, wenn nicht radikale Demokratiegegner sollte zwei politische Beamte ermorden? Die Schreibtischtäter vom Verfassungsschutz mögen das anders sehen. Ich halte die Talufisten für gefährlich. Sie nutzen zwar die Vorteile der Demokratie, aber da, wo sie Einfluss haben, werden die Menschen brutal unterdrückt.“
Er verrennt sich, dachte Verena, sagte aber nichts. Dann meinte ihr Kollege, dass es an der Zeit sei, zurück nach Hannover zu fahren.
48
H ANNOVER
„Die Zustimmungswerte für die Bürgerpartei sind in den letzten Tagen gestiegen. Die Leute haben Mitgefühl. So hart es sich anhören mag, die Morde nutzen uns.“
Alfred Bitter, Albi genannt und Vorsitzender der Bürgerpartei, war auf die Minute pünktlich zum verabredeten Termin im Büro des Regierungschefs erschienen. Wagner war dazugebeten worden. Auch wenn Albi nur ein Jahr älter war als der Ministerpräsident, sah er aus wie Mitte sechzig. Der volkstümliche Parteivorsitzende schätzte das gesellige Beisammensein im Kreise seiner Parteifreunde in den Kreisverbänden, bevorzugt in den ländlichen Regionen. Sein von tiefen Falten zerfurchtes Gesicht war weniger Ergebnis angestrengten Nachdenkens als Beleg häufiger Umtrünke mit Bier und Schnaps. Außerdem war Albi Kettenraucher.
Der Ministerpräsident nahm den Faden auf. Mithilfe von Konsul von Holzhausen würden die Zustimmungswerte weiter steigen. Als er den Preis des Konsuls nannte, reagierte Albi aufgebracht. „Hunderttausend Euro? Der spinnt doch! Wie soll die Partei das bezahlen?“
Der Ministerpräsident erging sich in Erklärungen. Konsul von Holzhausen sei die erste Adresse für sensible Angelegenheiten wie diese. Sogar eine waschechte Gräfin sei im Preis inbegriffen. Und zwei bunt bebilderte Homestories in gern gelesenen Hochglanzmagazinen. Das schaffe Sympathien. Und die habe die Partei bitter nötig.
„Die Partei oder du, Manfred?“
Der Ministerpräsident griff nach der Likörflasche und schenkte sich ein Glas ein. Den anderen bot er nichts an. „Das sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Keiner weiß das so gut wie du, Albi, bist schließlich lange genug im Geschäft. Geht der Regierungschef unter, zieht er die Partei mit in den Abgrund. Willst du das? Ich darf dich daran erinnern, dass es meine hohen Zustimmungswerte waren, die die Partei vor acht Jahren an die Regierung gespült haben.“
Albi schaute sich suchend um. „Gibt es hier denn nichts Vernünftiges zu trinken? Ich könnte jetzt ein gut gekühltes Bier gebrauchen.“
Wagner wurde losgeschickt, das gewünschte Getränk zu beschaffen. Im angrenzenden Ruheraum des Ministerpräsidenten mit Dusche, Waschbecken und Liege befand sich ein stets gut gefüllter Eisschrank. Als er mit zwei Flaschen Bier zurückkam, hatte sich ein heftiger Disput zwischen den Politikern entwickelt. Der Ministerpräsident forderte Solidarität ein,
Weitere Kostenlose Bücher