Die Staatskanzlei - Kriminalroman
führte ihn daher zu Verena. Die erfüllte die in sie gesetzte Erwartung, lobte ihn für den gelungenen Coup und bewirtete ihren müden Kollegen mit starkem Kaffee. Dann folgte, was bei Stollmann nach Ermittlungserfolgen unvermeidbar war: Schelte auf die Rechtsverdreher, womit vor allem die Staatsanwälte und Richter gemeint waren.
„Wer weiß, was die staatlich finanzierten Paragraphenhengste aus unserem Coup machen. Sie mausern sich immer mehr zu Helfershelfern der Kriminellen, achten akribisch darauf, dass Verbrecher ihr Recht bekommen. Die Opfer interessieren sie weniger. Deutschland entwickelt sich zum Paradies für kriminelle Banden.“
„Du übertreibst schamlos, Stolli. Vermutlich ist dein Blutzuckerspiegel im Eimer. Du solltest etwas essen.“
Verenas Vorschlag wurde aufgenommen und ihr Kollege verschwand in Richtung Fahrstuhl, um sich ein ausgiebiges Frühstück in der Kantine zu gönnen.
Wenig später kreuzte Hirschmann auf. Nach dem zweiten Mord hatte er wieder Oberwasser bekommen. Er bot Verena an, ihn nach Braunschweig zu begleiten. Ein Gespräch mit dem Imam, in dessen Moschee sich Mehmed Hamad zuletzt fast täglich aufgehalten hatte, stand auf seinem Arbeitsplan. Verena hielt einen Anschlag mit islamistischem Hintergrund für immer weniger wahrscheinlich. Sie kam trotzdem mit, um für einige Stunden das LKA hinter sich zu lassen.
Draußen hatte Tauwetter eingesetzt. Auf den Straßen und Bürgersteigen hatten sich Pfützen gebildet und der Schnee wirkte dreckig. Hirschmann nutzte die Fahrt, um ihr seine Kenntnisse über die Talufisten nahezubringen. „Sie sind besonders radikal, fordern einen islamischen Gottesstaat. Von wegen Gleichberechtigung und Würde der Frau. Da pellen die sich ein Ei drauf. Frauen haben bei denen nichts zu lachen. Sie halten unverschleierte Frauen für kriminell.“
„Und was sagt der Verfassungsschutz dazu?“
„Nichts. Religionsfreiheit ist in unserem Land ein hohes Gut. Solange die Leute nur reden, lässt man sie in Ruhe. Es soll 2500 Anhänger in Deutschland geben, Tendenz steigend. Einige sind in Terrorcamps abgetaucht, allein zehn aus Braunschweig. Mehmed ist einer von denen.“
Verena bedauerte, dass sie mitgekommen war. Sie fragte sich, ob der Imam überhaupt bereit war, mit einer unverschleierten Frau zu sprechen. Nach einer dreiviertel Stunde erreichten sie die Braunschweiger Altstadt. Es mangelte an Parkplätzen. Der Weihnachtsmarkt um den Domplatz herum zog Besucher aus der ganzen Region an. Vergeblich kurvten sie durch die engen Gassen der Altstadt, bis ein scharfes Bremsen Verena, die die Augen für einen Moment geschlossen hatte, zusammenzucken ließ. Ein Auto direkt vor ihnen machte eine Parklücke frei. Wütendes Hupen hinter ihnen war die Folge. Die Fahrerin drohte mit der Faust.
„Blöde Kuh“, schimpfte ein aufgebrachter Hirschmann. „Wir hätten ein Polizeifahrzeug nehmen sollen, dann hätte die Zicke sich nicht getraut, uns zu drohen.“
Für ihren stets auf Korrektheit bedachten Kollegen ungewöhnlich harsche Worte. Auf dem kurzen Fußweg erging er sich in einer peinlich genauen Schilderung der Weihnachtsmärkte der Umgebung: Hameln, Goslar, Celle und Wolfenbüttel. Jeder für sich sei einen Besuch wert. Am besten gefiel ihm Goslar. Dann korrigierte er sich und sprach sich für Celle aus, um kurz darauf den Weihnachtsmarkt in Hameln erneut anzupreisen.
Nach wenigen Minuten hatten sie ihr Ziel im Kalenwall erreicht. Das unscheinbare Gebäude aus der Nachkriegszeit hätte einen frischen Anstrich gut vertragen. Ein Schild in türkischer Sprache wies auf einen islamischen Kulturverein hin. Hirschmann betätigte den Türklopfer kraftvoll und anhaltend.
Es dauerte trotzdem eine ganze Weile, bis sie Schritte hörten und ein bärtiger Mann mit Kopfbedeckung öffnete. Vermutlich der Imam selbst. Er musste um die vierzig sein, der lange Bart und der düstere Gesichtsausdruck ließen ihn älter aussehen. Obwohl er, wie die Unterlagen des Verfassungsschutzes auswiesen, fließend deutsch sprach, begrüßte er die beiden Polizeibeamten in türkischer Sprache.
Nachdem sie ihre Schuhe ausgezogen hatten, wurden sie in einen kleinen Raum geführt, in dem es außer einem Orientteppich als einzige Möbelstücke Sitzkissen gab. Mit einer Geste forderte der Imam Hirschmann auf, sich hinzusetzen. Durch Verena schaute er hindurch. Er hörte sich schweigend und mit ernster Miene an, was Hirschmann ihm zu sagen hatte. Dann schüttelte er bedenklich den
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