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Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan
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haben es nicht verdient, am Leben zu bleiben«, erwidert Catcher frustriert. »Hast du nicht gehört, was Ox gesagt hat?«
    Ich sehe wieder vor mir, wie Catchers Klinge Conalls Hals durchschneidet, sein letzter Atemzug, das Gurgeln des Blutes in seinen Lungen, all das ist mir noch gegenwärtig.
    »Was du getan hast …« Ich zögere, muss mir über meine Gefühle klarwerden und wie ich sie inWorte fasse. »Conall war ein Ungeheuer«, fahre ich fort. Catchers R ücken wird starr.
    »Damit will ich nicht sagen, dass es falsch war, ihn zu töten, nur …«, ich muss durchatmen und mich an die Brüstung lehnen, die das Dach umgibt. »Nur finde ich nicht, dass uns das Leben so gleichgültig sein darf. Ich bin mir nicht sicher, ob wir die Urteilenden sein sollten.«
    Catcher will sich verteidigen, ich lege die Hand auf seine und schneide ihm dasWort ab. Ich muss das jetzt sagen, das weiß ich, aber ich habe Angst vor seiner R eaktion. Dennoch wage ich mich vor.
    »Du hast mich eben furchtbar erschreckt, Catcher. Du hast vorher ja schon darüber gesprochen, wie gefangen du dich zwischen den Lebenden und denToten fühlst, weil du immun bist, aber du wirst dich entscheiden müssen, auf welcher Seite du stehen willst. Es sind die Ungeweihten, für die das Leben keine besondere Bedeutung hat. Und es sind die Lebenden, die sich darum bemühen, es zu erhalten, sogar für die Schlimmsten unter uns.«
    Er lässt das Kinn auf die Brust sinken und fasst sich in den Nacken. »Er war im Begriff, dich zu töten, Annah. Das konnte ich nicht geschehen lassen. Er hätte nie mehr von dir abgelassen.«
    Ich drücke seine Hand an die Brust, auf mein pochendes Herz. »Ich lebe noch«, erinnere ich ihn. »Du bist kein schlechter Mensch, Catcher . A ber deshalb ist es noch lange nicht in Ordnung, die übrigen R ekruter umzubringen. Gerecht ist das vielleicht nicht, aber wir müssen besser sein als sie. Wir dürfen nicht so tief sinken wie die Übelsten unter ihnen.«
    Ich lege ihm meine andere Hand auf dieWange und drehe sein Gesicht ins Licht. »Sie zu töten würde uns zu Ungeheuern machen. Und was haben unsere Anstrengungen, von der Insel zu fliehen, denn für einen Sinn, wenn wir doch nur zu Ungeheuern werden?«
    Catcher zieht mich an sich, seine Hitze schützt mich vor der winterlichen Kälte, zusammen stehen wir da und schauen zum Himmel.
    »Wir haben noch Zeit, uns etwas anderes zu überlegen«, sage ich. »Ich nähe Stoff für den Ballon zusammen und bin schon ziemlich weit gekommen. Du musst nur dafür sorgen, dass die Leute in der Dunklen Stadt alles Nötige haben und auch rechtzeitig fertig werden.« Ich schaue ihm ins Gesicht.
    »Wir können das schaffen. Das weiß ich.« Ich überlege, ob ich es wohl wahr werden lassen kann, wenn ich es nur oft genug und mit dem entsprechenden Nachdruck wiederhole.
    Er zieht meinen Kopf an seine Brust, und ich lausche seinem Herzschlag. »Mache ich dir immer noch Angst?« Ich spüre, wie ängstlich und unsicher er ist.
    »Immer«, sage ich. Er schnappt nach Luft, und ich rücke von ihm ab, bis ich seine Augen sehen kann. »Ich habe Angst, mein Herz an dich zu verlieren . A ber ich glaube, dieses Risiko gehe ich gern ein.«
    Auf dem Boden kniend sortiere ich die Stofffetzen, die meine Schwester bereits zusammengenäht hat, als sie ins Zimmer schlurft. Ihr Haar ist fettig und hängt schlaff herunter, aber ihre Augen sind nicht mehr trüb und dieWangen nicht mehr vom Fieber gerötet.
    »Was ist los?«, fragt sie, ein wenig atemlos, nachdem sie den Flur entlanggegangen ist. Die Krankheit hat sie geschwächt, mit zitternden Muskeln lässt sie sich auf einer Stuhlkante nieder.
    »Ich hatte ja keine Ahnung, dass du so viel quiltest«, sage ich und sortiere den Stoff auf verschiedene Haufen: was kräftig genug wirkt, um unser Gewicht zu tragen, auf den einen, den R est auf den anderen.
    Sie zuckt mit den Schultern und nimmt einen der Streifen kompliziert zusammengefügter Stoffteile in die Hand. »Dann bin ich beschäftigt. Ich mag es, Sachen zusammenzufügen – aus nichts etwas zu machen.«
    Wieder etwas, das ich nicht gewusst habe. Ständig erfahren meine Schwester und ich Neues übereinander. »Wir müssen einen großen Stoffsack nähen – so was wie einen Ballon – in weniger als zweiTagen«, sage ich.
    Mit hochgezogenen Augenbrauen schaut sie mich an. »Bist du hinter diese Sache mit dem Fliegen gekommen?«
    Ich werde ein bisschen rot. Ob die Überlebenden der Dunklen Stadt wohl auch so reagieren?

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