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Die Stadt der verkauften Traeume

Die Stadt der verkauften Traeume

Titel: Die Stadt der verkauften Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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sich aus der Dunkelheit.
    »Das kann ich nicht tun. Sie ist meine Freundin.«
    »Eine Freundin, die sehr wohl bereit ist, die Interessen ihres mordenden Schuldners über Ihre Zukunft zu stellen«, erwiderte Snutworth mit leiser, vernünftiger Stimme. »Sie scheint Sie und Ihre Freundschaft für nicht sehr wertvoll zu halten.«
    Mark sah mit starrem Gesicht zu, wie das letzte Zwielicht dem Nachthimmel wich.
    »Snutworth … suchen Sie mir Lord Ruthvens Adresse heraus.«
    »Nicht nötig, Sir, ich werde das Schreiben persönlich abliefern.«
    Mark setzte sich, tauchte seine Feder in die Tinte und fing an zu schreiben. Er fühlte sich leer, als wäre etwas von ihm gegangen.
    Er wusste, was er tat, als er die Worte formulierte, wusste, dass er etwas dabei hätte empfinden sollen – Reue, Wut, Schmerz. Aber nach Glorias Tod und Lilys Anschuldigungen fühlte er nur eine große Leere. Er sah lediglich den Skandal, seinen eigenen Sturz, die Rückkehr in jene Welt der Armut, in der Menschen ermordet wurden – die Welt außerhalb des Turmes. Eine Welt, die er nie wiedersehen wollte.
    Es war zu spät für Gloria, und was Lily anging …
    Aber er konnte nicht an Lily denken. Der Blick, mit dem sie ihn zum Abschied angesehen hatte, hatte sich tief in ihn eingebrannt.
    Als Snutworth mit dem Brief, der seine Bedenken gegen das Almosenhaus und dessen Anteil an der Entstehung und Verbreitung der Gewalt in der Stadt darlegte, gegangen war, blieb Mark noch lange an seinem Schreibtisch sitzen. Er zündete keine Lampe an.
    »Du oder ich, Lily«, sagte er schließlich. »Du oder ich.«

 
KAPITEL 18
     
Die Nacht
     
    Als das Almosenhaus ein Tempel gewesen war, war das offene Dach dazu genutzt worden, Mittsommermessen für seine winzige Gemeinde abzuhalten. Die alten Priester wären überrascht gewesen, hätten sie sehen können, wie viele jetzt fast jede Nacht dort oben, eingehüllt in abgewetzte Decken, in der sommerlichen Wärme schliefen.
    Heute Nacht war keiner da. Bis auf Lily, die an die Brüstung gelehnt hinaus auf die verwinkelten Straßen des Schütze-Bezirks blickte. Das Leuchtfeuer vor dem Almosenhaus war erloschen, weshalb heute Nacht der abnehmende Mond das einzige Licht spendete. Gelegentlich stob ein Funkenschauer aus Miss Devines Kamin, die bis spät in die Nacht an ihrem Glasofen arbeitete, und färbte die Dunkelheit mit rotem Flammenschein. Unten auf den Straßen waren wie immer viele Leute unterwegs, aber heute Abend wirkten sie alle irgendwie bedrückt. Ab und zu richtete einer von ihnen seinen Blick auf das Almosenhaus, wandte sich aber sofort wieder mit einem Schaudern ab.
    Lily hielt immer noch das Schriftstück in Händen, das Inspektor Greaves ihr an diesem Abend überreicht hatte. Darin stand, dass die Eintreiber ihr Haus nur schließen würden, solange die Ermüdungen hinsichtlich besagten Lebensdiebstahls noch nicht abgeschlossen seien, aber Lily konnte zwischen den Zeilen lesen. Es stand zu viel von der »Unruhe« und den »gefährlichen Spannungen« darin, die das Haus angeblich bewirke, Ansichten, die Lily erst zwei Tage zuvor aus dem Mund von Marks Assistenten vernommen hatte. Andererseits hätte der Lordoberrichter die Worte keines einfachen Assistenten so ernst genommen.
    Lily hatte die Mitteilung zwei Mal wortlos durchgelesen und dann in das ernste, fast feierliche Gesicht des Inspektors gesehen. Sie hatte ihn gefragt, ob Mark den Brief geschickt habe. Ob er seinen Einfluss dazu genutzt habe, um das hier zu bewirken.
    Greaves hatte sie nicht angelogen. Er hatte ihr nicht geantwortet.
    »Miss Lilith«, hatte er gesagt, »es tut mir leid, dass es so weit kommen musste.«
    »Musste?«, hatte Lily verbittert gefragt.
    Greaves hatte sie bei den Händen genommen. »So etwas ist unvermeidlich, wenn man sich in die Gesellschaft von Schuldnern begibt. Ich hätte Sie warnen sollen, aber …« Er hatte innegehalten und traurig gelächelt. »Manchmal bin ich neugieriger, als gut für mich ist. Ist wahrscheinlich eine Berufskrankheit.«
    »Sie irren sich«, sagte Lily und zog ihre Hände zurück. »Das Almosenhaus hatte nichts mit Glorias Tod zu tun.«
    »Alles hat mit allem zu tun, Miss Lilith. Alles.« Er warf einen Blick auf die Taschenuhr, die mit einer langen Silberkette an seinem nachtblauen Mantel befestigt war. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen. Die Pflicht ruft.«
    Danach hatte sie nichts mehr gesagt. Sie war stumm geblieben, als die Eintreiber es öffentlich bekanntmachten. Sie schrie nicht auf,

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