Die Stadt der Wahrheit
ist deine Hütte?«
Toby nahm den Pfeil vom Bogen und benutzte ihn dazu, auf eine Ansammlung von Rundhütten, etwa zwanzig Meter von den Zielscheiben entfernt, zu deuten.
Der Bogenschießlehrer näherte sich uns, ein kantiger, wettergegerbter Kerl, der leicht humpelte. Toby stellte mich vor als den besten Vater, den ein Junge nur haben kann. Er sagte, daß er mich liebte. Seltsam, dachte ich, welche spontanen kleinen Gedanken durch die Köpfe von noch nicht gebrannten Kindern huschten.
Mein Sohn räumte seinen Bogen weg, und wir machten uns in Richtung seiner napfkuchenförmigen Behausung auf den Weg.
»Du bist schön braun geworden, Toby. Du siehst richtig gesund aus. Herrje, ich freue mich, dich zu sehen.«
»Dad, du redest so komisch.«
»Ich wette, du fühlst dich auch gesund.«
»In letzter Zeit habe ich öfter Kopfweh.«
Ich biß die Zähne zusammen. »Ich bin sicher, daß das nichts Ernsthaftes ist.«
»Schade, daß ich schon so früh von hier weg muß«, sagte er, während wir die schiefe Holzstiege zu seinem Zimmer hinaufkletterten. »Es war vorgesehen, daß Barry Maxwell und ich morgen zusammen Schlangen jagen sollten.«
»Hör zu, Toby, du machst einen besseren Tausch, als du ahnst. Du darfst noch einmal ganz lange Ferien machen.« In der Bude herrschte ein nur geringfügig größeres Chaos, als ich erwartet hatte – Kleidungsstücke lagen in unordentlichen Haufen übereinander, Encyclopedia Britannica- Comics stapelten sich in wildem Durcheinander. »Wir werden in einem unterirdischen Märchenland leben. Nur du und ich.«
»Was für ein Märchenland ist das?« fragte er argwöhnisch.
»Oh, es wird dir gefallen, Toby. Wir werden angeln und Eis essen.«
Toby lächelte breit, strahlend – ein satirevianisches Lächeln. »Das hört sich nett an.« Er öffnete seinen Koffer und machte sich daran, ihn vollzupacken: futuristische Flugzeugmodelle, T-Shirts, Arbeitsklamotten, Regenumhang, Comics, Taschenlampe, Henkelmann, Blechgeschirr und -besteck. »Kommt Mom auch mit?«
»Nein.«
»Ihr werden all die schönen Dinge entgehen.«
»Ihr werden all die schönen Dinge entgehen«, bestätigte ich.
Mein Sohn hielt ein gräßlich mißratenes Schlachtschiff hoch und verkündete stolz, daß er es im Werkunterricht gebastelt habe. »Wie gefällt es dir, Dad?«
»Ach, Toby«, antwortete ich, »es ist ganz toll.«
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6
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Zwölf Tore führen in die Stadt der Lügen. Jedes Jahr, wenn seine Hingabe an die Verlogenheit deutlicher wird, wenn seine Unehrlichkeit auf einem zuverlässigeren Fundament steht, wird dem satirevianischen Bekehrten der geheime Ort eines weiteren Tores verraten. Blutige Neulinge wie ich kannten nur einen: den Überlaufkanal nahe der Ecke Dritte und Bruno-Straße im Bezirk Nietzsche.
Wie viele Wege doch in den Abgrund führten! dachte ich, während Toby und ich das feuchte, moosbewachsene Labyrinth unter Veritas durchwanderten. Leitern, schräge Abwasserrohre, schmale Steintreppen – wir benutzten sie alle; unsere Taschenlampen schnitten durch die Dunkelheit wie Macheten, die dichtes Gestrüpp aus dem Weg räumen. Mein Sohn genoß jede Minute dieses Unternehmens. »Whao!« rief er jedesmal aus, wenn sich uns irgendein ekelhaftes Wunder darbot – eine Schnecke von der Größe einer Banane, ein unterirdischer See, in dem es von Fröschen wimmelte, ein Spinnennetz, das so groß und haltbar war wie ein Trampolin. »Hübsch!«
Nachdem wir an unserem Ziel angekommen waren, mieteten wir uns im Hotel Paradies ein. Im Gegensatz zu meiner früheren Unterkunft war die uns zugewiesene Suite sonnig und geräumig, mit Glastüren, die auf einen schmiedeeisernen Balkon hinausgingen, von dem man eine gute Übersicht über die lokale Fauna hatte.
»Dad, die Pferde hier haben sechs Beine!« Toby hüpfte vor Aufregung auf und ab. »Die Ratten jagen Katzen! Die Schweine haben Flügel! Das ist wirklich ein Märchenland!«
Es wurde bald offenkundig, daß ganz Satirev auf unsere Ankunft gewartet hatte. Wir waren die Männer der Stunde. Den Türstehern des Hotels Paradies waren unsere Gesichter sofort vertraut, und sie ließen uns ganz nach Belieben kommen und gehen. Franz und Lucky umschwärmten Toby, als wäre er ein lange verlorengeglaubter Bruder. Wenn wir im Gelände spazierengingen, kamen vollkommen Fremde auf uns zu, überzeugten sich davon, daß wir es wirklich waren, und schenkten dem tragischen Kind von Satirev irgendeine Süßigkeit oder ein kleines Spielzeug und bedachten seinen
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