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Die Stadt der Wahrheit

Die Stadt der Wahrheit

Titel: Die Stadt der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Vater mit einer Umarmung, die Ermutigung und Zuspruch ausdrückte.
    Selbst Felicia war vorbereitet. Nachdem sie Toby eine Blutprobe abgenommen hatte – wir erklärten ihm, das Märchenland müsse sichergehen, daß Touristen keine Bakterien einschleppten –, zog sie sich in ihr Büro zurück und kam mit einem Plüschtier in der Hand zurück, einem erstaunlichen comicartigen Pavian mit akrobatischen Augen und einer etwa quadratischen, hundeähnlichen Schnauze.
    »Das ist für dich, Regenbogenjunge«, sagte sie.
    Tobys Gesicht verkrampfte und spannte sich; er schluckte hörbar. Er war nicht zu alt für Plüschtiere, sondern lediglich zu alt, um Spaß an ihnen zu haben, ohne sich zu schämen.
    »Er braucht einen Namen, meinst du nicht?« sagte Dr. Krakower. »Keinen albernen Namen, würde ich sagen. Etwas Würdiges.«
    Ich führte meine Begutachtung durch, wie ich es jede Stunde zu tun pflegte. Die Tatsachen waren allmählich nicht mehr zu leugnen – der bläuliche Schimmer der Haut, das Dünnerwerden des Haars.
    Toby entspannte sich und lächelte. »Würdig«, sagte er. »Nicht albern. O ja.« Zweifellos spürte er die Wahrheit über sein neues Zuhause: in Satirev war alles erlaubt; in Satirev brauchte kein Junge vor seiner Zeit erwachsen zu sein. »Er soll Barnabas heißen. Barnabas Pavian.« Toby runzelte die Stirn und schob die Zungenspitze durch einen Mundwinkel heraus. »Vielleicht hat er irgendwelche Bakterien an sich.«
    »Regenbogenjunge, du hast vollkommen recht.« Dr. Krakower zog mit der Nadel ihrer Spritze ein kleines Plüschknäuel aus Barnabas Arm. »Wir tun gut daran, eine Probe seines Füllmaterials zu entnehmen.«
    Am Abend, kaum daß mein Sohn eingeschlafen war, rannte ich zu der Telefonzelle außerhalb des Hotels Paradies und rief beim Zentrum für Schöpferisches Wohlbefinden an. Dr. Krakower sagte mir genau das, was ich erwartete zu hören: Der Xavier-Test war positiv.
    »Es ist noch lange nicht alle Hoffnung verloren«, sagte sie eindringlich.
    »Ich weiß, was Sie meinen«, sagte ich und zitterte in der heißen sommerlichen Dunkelheit. Positiv. Positiv. »Wenn wir Toby die richtige Einstellung dazu geben, wird sich sein Immunsystem einschalten, und – peng – die Krankheit wird abklingen.«
    »Genau.«
    »Wie lange könnte sein Zustand einigermaßen stabil bleiben?«
    »Das kann man nie sagen, Jack. Manchmal geht es eine ziemlich lange Zeit gut.«
    Ich meldete ein Gespräch nach Veritas an.
    »Hallo, Helen.«
    »Jack? Jetzt rufst du an? Jetzt, nach zehn Tagen?«
    »Ich hatte viel zu tun.«
    »Dein Museumsdirektor hat eine Genesungskarte geschickt. Bist du krank?«
    »Es geht mir schon wieder besser.«
    »Jetzt ist ein ungünstiger Zeitpunkt, um zu reden«, sagte sie. »Ich muß mich schleunigst auf den Weg zum Busbahnhof machen.«
    »Nein, das mußt du nicht. Ich habe Toby am Sonntag abgeholt.«
    »Was hast du?«
    »Er muß jetzt bei mir sein. Ich kann ihm die richtige Einstellung geben.«
    »Willst du damit sagen – du bist einer von denen?«
    »Hunde können sprechen, Helen.«
    Ich sah lebhaft vor mir, wie sie weiß wurde und zusammenzuckte. »Halt den Mund!« kreischte sie. »Ich möchte meinen Sohn wiederhaben! Bring mir meinen Sohn zurück, du Scheißkerl, bildlich gesprochen.«
    »Ich liebe ihn.«
    »Bring ihn zurück!«
    »Ich kann ihn heilen.«
    »Jack!«
     
    Während der heiße, schwüle Juli in den noch heißeren, schwüleren August verschmolz, verbrachten mein Sohn und ich viele Stunden im Freien – oder vielmehr an jenen offenen Plätzen, die in Satirev als das Freie galten. Gemeinsam erforschten wir die sumpfigen Grenzgebiete der Siedlung und sammelten Käfer und Amphibienwesen für Tobys Miniaturzoo. Die Geldhaine erwiesen sich als ausgezeichnete Übungsfelder für das Bogenschießen – wir pflegten mit unseren Pfeilen auf die Fünfdollarnoten zu zielen –, während die brodelnden Schneeflächen bald mit den Ergebnissen unserer bildhauerischen Bemühungen übersät waren: Schneemänner, Schneehunden, Schneepavianen. Es war alles nur eine Sache von gut isolierten Handschuhen.
    Und schließlich gab es noch den Jordan, in dem man vorzüglich schwimmen und – wenn es uns gelang, ein Boot auszuleihen – angeln konnte. »Gefällt es dir hier?« fragte ich Toby, während ich meine Angelschnur mit einem doppelseitigen Haken auswarf.
    »Es ist ziemlich seltsam.« Eifrig arbeitete er an seiner Spule und holte ein Wassergürteltier an Bord.
    »Dir geht es trotzdem unheimlich gut,

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