Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)
habe man nicht akzeptiert. Der Oberstleutnant und ich gingen hin, stellten Posten auf, es standen Posten von uns und von denen da. Wir schnappten uns eine Gruppe von unseren Kommandeuren, um die acht Mann. Steckten uns Handgranaten in die Taschen. Gingen in den Hof. Dort ein Haufen Offiziere und sehr viele Soldaten. Beim Kellereingang wurden wir aufgehalten: Das Tor, durch das wir gegangen waren, da dürfe man nicht durch. Der Oberstleutnant sagte:
»Verhandlungen hin, Verhandlungen her, pass du hier auf. Das Gebäude muss von allen Seiten umzingelt sein, kümmere dich drum, ich gehe rein.«
Er ging hin und stellte sich vor – Truppenbevollmächtigter von Rokossowski. Man fragte ihn nach seinem Ausweis. Im Ausweis stand Politstellvertreter des Kommandeurs. Was das heiße. »Das ist ein alter Ausweis«, sagte er. »Ich bin von Rokossowski persönlich bevollmächtigt, zu den Bedingungen Verhandlungen zu führen, die im Ultimatum vorgegeben sind. Einverstanden?«
Offenbar hatten sie die Frage bereits vorab entschieden, und zwar aufgrund der Tatsache, dass die Lage hoffnungslos war. Das Einverständnis wurde gegeben. Oberstleutnant Winokur befahl, das sofort zu melden. Wir hatten Soldaten ungefähr von der Stärke eines Bataillons. Die Nachricht wurde dem Brigadekommandeur und dem Armeestab gemeldet.
Oberstleutnant Winokur: Ich verlangte über den Dolmetscher unverzüglich einen Unterhändler der Führung. Ein Unterhändler kam und fragte, wer ich sei.
»Ich bin Unterhändler von der höchsten Kommandoebene der Politverwaltung.«
»Haben Sie das Recht, Verhandlungen zu führen?«
»Ja.«
Er ging, machte Meldung. Nach zwei Minuten holte man mich herein. Drinnen war es dunkel. Dort arbeitete ein Generator vom Kraftwerk. Sie hatten eine große Funkanlage im Stab. Beim Eintreten fragte ich den Adjutanten über den Dolmetscher:
»Wohin bringen Sie mich? Wohin muss ich noch gehen?«
Der Adjutant nahm mich beim Arm und führte mich. Vier MPi-Schützen und Iltschenko waren bei mir. Die MPi-Schützen blieben im Flur.
Untersergeant Gurow: Ich ging mit dem Kommissar dort hinein, wo Paulus war. [494] Alle standen auf, sagten etwas. Der Kommissar antwortete ihnen. Ich weiß nicht mehr, was er ihnen sagte. Da sagte man mir: »Geh vor die Tür.« Ich hatte eine Handgranate F-1 in der Tasche und eine deutsche Browning. Ich dachte: Was kann ich machen, wenn die plötzlich die Waffen zücken? Die Offiziere sahen mich nicht. Aus dem Zimmer kam jemand, ein Ordensträger, er sagte etwas. Dann ging er den Flur runter, machte Meldung, kehrte ins Zimmer zurück. Ein paarmal ging er so hin und her. Ich dachte, wenn ich ihn nicht durchlasse, ist es auch nicht gut. Zuerst hatte ich gedacht, vielleicht flieht er oder so was … Wenn ich ihn durchlasse, wird der Kommissar schelten. Ich dachte, ich tue nichts, sollen sie machen, was sie wollen, ich stehe hier ganz still.
Ich hatte schon etwas Angst um den Kommissar, ich sah doch, dass sich bei denen was zusammenbraute. An mich dachte ich nicht, ich schätze mich persönlich nicht so hoch ein.
Oberstleutnant Winokur: Ich ging mit Iltschenko ins Arbeitszimmer, sonst war keiner mehr bei mir. Ein runder Tisch, vier Betten, Funk, zwei Telefone. Roske empfing mich: nicht sehr groß, hager, etwa 44, 45 Jahre. Er war sichtlich nervös. Rechts von ihm saß Generalleutnant Schmidt. Der ganze Stab saß da. Als ich eintrat, stand Roske auf, begrüßte mich. Ich antwortete ihm. Man bot mir an, den Mantel abzulegen. Ich war im Halbpelz hereingekommen. Im Zimmer war es zwar warm, aber ich lehnte es ab, den Mantel auszuziehen. Sagte, uns sei nicht warm. Dann begann die Unterhaltung. Roske warnte zuallererst, dass er die Verhandlungen nicht im Namen des Feldmarschalls führe. Das waren buchstäblich seine ersten Worte.
In Paulus’ Zimmer war es dunkel. Unbeschreiblicher Schmutz. Als ich eintrat, stand er auf, er hatte zwei Wochen alte Bartstoppeln, wirkte verzagt.
»Wie alt ist er Ihrer Meinung nach?«, fragte mich Roske. Ich sagte: »58.«
»Schlecht geraten. Er ist 53.«
Ich entschuldigte mich. Im Zimmer war es schmutzig. Er lag auf dem Bett, als ich eintrat. Als ich eintrat, stand er gleich auf. Er lag im Mantel da, mit Mütze. Seine Waffe hatte er Roske ausgehändigt. Ich übergab die Waffe später Nikita Sergejewitsch, als der hierhergekommen war.
Vor allem Roske führte die Verhandlungen mit uns. Ihre Telefone klingelten die ganze Zeit. Es hieß, die Drähte seien durchgeschnitten
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