Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition)
zu werden. Das müsste sie doch empfänglicher für die Not der Sklaven machen, oder?«
Jean hielt den Atem an. »Das stimmt. Englands Macht beruht auf seiner Marine, und das bedeutet, dass viele Seemänner dienen müssen, ob sie wollen oder nicht.« Sie schaute lächelnd zu ihm auf. »Vielleicht haben wir ein weiteres Teil des Rätsels aufgedeckt.«
Nikolais Augen verengten sich, als er zu beschreiben versuchte, was er spürte. »In diesem Gebiet sind merkwürdige Energien am Werk. Positive und negative. Ich spüre, dass hier ein Kampf stattgefunden hat, der nichts mit den Männern und Frauen zu tun hat, die sich heute hier zur Wehr gesetzt haben. Es ist wie ein Druck in meinem Kopf. Ein Aufstand. Kannst du das auch spüren?«
»Städte sind immer sehr energiegeladen«, sagte Jean. »Wir Wächter ermüden in den ersten Tagen nach der Ankunft in einer Stadt ausgesprochen schnell, und London ist die ermüdendste von allen. Da du gerade erst eingeweiht wurdest, bist du dir der Energie der Massen vielleicht stärker als zuvor bewusst.«
»Das mag sein.« Im Geiste ging er wieder den aufeinanderprallenden Energien auf den Grund. »Doch meine Intuition sagt mir, dass das, was ich spüre, etwas viel Bedeutsameres für unseren Auftrag ist.«
»Dann müssen wir beide besonders gut achtgeben.« Jean lächelte. »Aber lass uns für heute einfach nur Besucher in einer der beeindruckendsten Städte Europas sein.«
27. Kapitel
Z
u Jeans Erleichterung konnten sie in einem respektablen Gasthof zwei nebeneinanderliegende Zimmer mieten. Sie war noch nicht bereit, sich ein Zimmer mit ihrem Partner und seiner überwältigenden Männlichkeit zu teilen. Und er schien ebenso erleichtert wie sie über ein bisschen Distanz zwischen ihnen zu sein.
Noch immer müde von der Energie, die sie für Jonathan Strong aufgewendet hatte, legte Jean sich nachmittags zu einem Nickerchen aufs Bett und wachte erst am nächsten Morgen wieder auf. Es war beschämend, fast rund um die Uhr geschlafen zu haben, aber sie fühlte sich stark und wunderbar erfrischt nach diesem langen Schlaf.
Nachdem sie sich gewaschen und angezogen hatte, klopfte sie an die Verbindungstür zu Nikolais Zimmer. Als keine Antwort kam, fragte sie sich, ob er vielleicht schon aufgestanden und hinausgegangen war - als sie dann aber leise die Tür öffnete, traf sie ihn, nur in Stiefeln und Reithose auf der Bettkante sitzend, an. Er starrte angestrengt auf seine Hände, während er ein Licht von einer Handfläche zur anderen überspringen ließ.
Ohne Hemd war er ... atemberaubend. Seine Schultern waren breit, und sein hartes Leben hatte ihm sehr eindrucksvolle Muskeln eingebracht. Jean war so fasziniert von seinem halb nackten Körper, dass sie einen Moment brauchte, um den kleinen Lederbeutel, den er um den Hals trug, zu bemerken.
Bei ihrem Eintreten hob er überrascht den Kopf. Das Licht in seinen Händen erlosch, als eine prickelnde erotische Spannung zwischen ihnen die Luft zum Knistern brachte. Sie starrten einander an und waren nahe daran, die Gründe zu vergessen, die sie zwangen, Distanz zu halten.
Jean trat einen Schritt auf ihn zu, weil sie versucht war, mit den Händen über seine wundervolle breite Brust zu fahren. Kaum spürte Nikolai diese Energie, gab er der seinen mit entnervender Abruptheit eine andere Richtung und griff nach dem Hemd, das neben ihm auf dem Bett lag. »Ich dachte, es wäre üblich anzuklopfen«, bemerkte er trocken, während er sich das Hemd über den Kopf zog.
Nach einem unsicheren Atemzug zwang sich Jean, ihr sinnliches Verlangen wieder dahin zu verbannen, wo sie es bisher unter Verschluss gehalten hatte. »Ich habe angeklopft. Aber du hast es nicht gehört.«
Als sein Gesicht wieder aus dem weißen Leinen auftauchte, sagte er: »Ich war zu konzentriert, um dich zu hören. Licht und Feuer sind etwas Faszinierendes.«
»Und du kannst immer besser damit umgehen.« Jean trat ans Fenster, um nicht zusehen zu müssen, wie er sich zu Ende anzog und all diese verführerische braune Haut vor ihrer Sicht verbarg. Als sie merkte, dass sie ganz unbewusst die Fäuste ballte, zwang sie sich, sich zu entspannen. Sie waren schließlich erwachsene Menschen und konnten ihre Leidenschaft unter Kontrolle halten. Dann merkte sie, dass sich Nikolais Gesicht im Fenster spiegelte, und sie verschloss die Augen vor dem Anblick. Auch Beherrschung hatte ihre Grenzen. »Ist das ein Medizinbeutel, den du um den Hals trägst?«
»Ja. Adia hat ihn für mich
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