Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition)
Licht erzeugte, um sehen zu können, was sie tat. Leider besaß sie nicht die Fähigkeit, das Schloss allein kraft ihrer Gedanken zu öffnen, aber da sie eine Vorliebe für Geduldsspiele und Schlösser besaß, hatte sie dieses hier im Nu geöffnet.
Ihr Messer in der Hand, löschte sie das magische Licht und öffnete die Tür. Auf dem schmalen Gang war es dunkel und still, obwohl über ihr ein Höllenlärm herrschte. Die Kanonen waren verstummt, doch Schreie und Pistolenschüsse verrieten, dass ein Schiff versucht hatte, das ihre zu entern, und die Besatzungen jetzt Mann gegen Mann kämpften. In der Konfusion an Deck würde sich vielleicht eine Gelegenheit ergeben zu entkommen.
Mithilfe eines Schutzzaubers, der bewirkte, dass andere Menschen sie nicht wahrnahmen, rannte Jean den Gang hinunter, kletterte die Leiter hinauf und trat vorsichtig an Deck hinaus. Die aufgehende Sonne war bisher nur ein orangefarbener Streifen am östlichen Horizont, spendete aber schon genügend Licht, um die schemenhaften Umrisse der Männer erkennen zu lassen, die mit Schwertern und Pistolen kämpften. Jean schlüpfte in den Schatten des Steuerhauses und versuchte zu verstehen, was hier vor sich ging. Zu ihrer Überraschung war Gregorios Schiff ein europäisches Handelsschiff, nicht unähnlich der Mercury. Von einem Piratenschiff hatte Jean ein völlig anderes Aussehen erwartet.
Die schmale, schlanke Galeere, die längs der Justice lag, war jedoch zweifellos ein Piratenschiff, da es mit Dutzenden von Sklaven bemannt war, die rechts und links des Schiffes an Rudern angekettet waren. Viele der Ruder, die über das Schiff hinausragten, waren schon zerbrochen, wo die Schiffsrümpfe zusammengeprallt waren. Welches Schiff war also das der Angreifer und welches das Opfer? Hatte ein Pirat versehentlich einen anderen angegriffen?
Der Kampf wurde auf beiden Schiffen ausgetragen, und die mit Turbanen bekleideten Seeräuber waren der Mannschaft der Justice gegenüber in der Überzahl. Doch Gregorios Männer, ein sehr gemischter Haufen, kämpften sehr, sehr gut. Tatsächlich gewannen sie sogar langsam die Oberhand, als sie einige der Korsaren töteten und die anderen auf ihre Galeere zurücktrieben. Gregorio befand sich mitten im Getümmel und kämpfte sich mit schonungsloser Kampfeswut voran, indem er einen Piraten nach dem anderen niederschlug.
Jean hatte überlegt, auf das andere Schiff hinüberzuspringen, bis sie erkannt hatte, dass es sich um ein Piratenschiff handelte. Sich diesen Männern anzuschließen, würde ganz bestimmt keine Verbesserung darstellen. Aber vielleicht konnte sie von der Justice fliehen, solange deren Besatzung von den Kämpfen abgelenkt war.
Sie schlich um das Steuerhaus herum und sah sich auf der Steuerbordseite um, auf der noch nicht gekämpft wurde. Die Justice führte mehrere Ruderboote mit, von denen das kleinste gar nicht weit von ihr entfernt vertäut war. Jean schlich noch näher. Nach einer kurzen Überprüfung war sie sicher, das Boot mit ihrem Messer losschneiden zu können. Es war klein genug, um es über die Reling ins Wasser zu stoßen. Die See war ziemlich ruhig, und falls das Boot nicht umkippte, konnte sie hineinspringen und wegrudern.
Doch würde eine solche Flucht ihre Situation verbessern? Falls die Justice den Kampf gewann, würde sie vermisst werden. Sobald jemand bemerkte, dass sie nicht mehr auf dem Schiff war, würde es gewiss nicht lange dauern, bis man sie entdeckte, und ein schnelles Vorankommen mit Rudern war unmöglich. Selbst wenn ihr die Flucht gelingen sollte, verurteilte sie sich vielleicht selbst zum Tode durch Verdursten und Verhungern.
Jean zog ihre Eingebung zurate. Sie gab ihr nicht das Gefühl, dass sie voraussichtlich auf einem Ruderboot zu Tode kommen würde, und deshalb war es das Risiko wohl wert. Möglicherweise sagte ihre Intuition ihr aber auch nur, dass sie es nicht schaffen würde wegzukommen, doch Jean war auf jeden Fall bereit, es zu versuchen.
Sie machte sich gerade an einem der Stricke am Bug des Ruderbootes zu schaffen, als sie Gregorio mit einer Wut losbrüllen hörte, die ihr schier die Luft gefrieren ließ. Neugierig kehrte sie zum Steuerhaus zurück und sah, dass er und seine Männer das Seeräuberschiff geentert hatten.
Gregorio war in eine lautstarke Auseinandersetzung mit dem Piraten-Kapitän verwickelt, aber leider in einer Sprache, die Jean nicht kannte. Mittlerweile war es hell genug, um Gregorios Gesichtsausdruck und das Blut auf seinem Schwert zu
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