Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition)
Eindringlichkeit zuhören gesehen. Als ihm die Worte ausgingen, sagte sie leise: »Das genügt. Ihr habt mich davon überzeugt, dass die Sklaverei eines der größten Übel ist, das die Menschheit je gesehen hat. Wenn Ihr mich nun entschuldigen würdet ...«
Jean schob ihren Stuhl zurück und erhob sich, trat zwei Schritte auf die Tür zu - und fiel auf die Knie und übergab sich heftig. Sie hatte zu wenig im Magen, um viel zu erbrechen, doch ihr war so furchtbar übel von dem Gehörten, dass die Krämpfe einfach nicht mehr aufhören wollten.
Fluchend holte Nikolai zwei Handtücher aus seinem Waschtisch. Eins warf er ihr zu, das andere befeuchtete er zuerst in seiner Wasserschüssel. Sie bedankte sich keuchend, bevor sie sich mit dem feuchten Handtuch Gesicht und Mund abwischte.
Hin und her gerissen zwischen Genugtuung und Abscheu vor sich selbst, kniete Nikolai sich neben sie. Er hatte sie dazu bringen wollen, über das Undenkbare nachzudenken, aber nicht mit einer so heftigen Reaktion gerechnet. Obwohl sie eine Macrae war, vermochte er sich nicht an ihrem Elend zu ergötzen.
Schließlich richtete sie sich auf, hockte sich auf die Fersen und begann, mit dem trockenen Tuch den Boden aufzuwischen. »Ihr habt wahrlich ein Talent zum Fluchen.«
Verwundert fragte er: »Ich habe Maltesisch gesprochen. Wie konntet Ihr wissen, dass ich fluchte?«
»Das erkannte ich an Eurer Stimme. Selbst wenn Ihr ›duftender weißer Flieder‹ auf Persisch gesagt hättet, hätte es sich Eurer Gefühle wegen wie ein gotteslästerlicher Fluch angehört.«
Nikolai machte ein finsteres Gesicht. »Ich will nicht, dass Ihr meine Gedanken lest.«
»Dann solltet Ihr Euch weniger leicht durchschaubar machen.« Mit dem feuchten Handtuch wischte sie sich wieder über das Gesicht. »Ihr könnt mir nicht verargen, dass mir übel wurde. Ihr wolltet mich schockieren und aus der Fassung bringen. Das ist Euch gelungen. Ihr wart sehr beredt. Ich beglückwünsche Euch zu Eurem Erfolg.«
Das Schiff schlingerte, als sie sich erheben wollte, und Nikolai ergriff ihr Handgelenk, um sie zu stützen. Für einen Moment durchzuckte beide wieder ein fast schmerzhaftes Bewusstsein ihrer Nähe, das ihrer beider Puls zum Rasen brachte.
Jean entzog ihm hastig ihren Arm und rappelte sich auf. Als sie nach dem Türknauf griff, sagte er: »Ich werde Euch vom Steward Fleischbrühe und Brot bringen lassen. Ihr braucht etwas im Magen, sonst wird Euch wieder übel werden.«
»Ich muss wirklich dankbar sein, dass Ihr Eure Sklaven besser behandelt als die meisten Sklavenhalter«, lästerte sie mit einem mutwilligen Blick, bevor sie ging.
Nikolai starrte stirnrunzelnd die geschlossene Tür an, verärgert, dass sie ihn mit ihren Bemerkungen, er versklave sie, so mühelos in Wut versetzen konnte. Doch ihre Worte würden ihn sicher nicht so treffen, wenn nicht ein kleines bisschen Wahrheit darin läge.
Was zum Teufel sollte er mit dem verfluchten Frauenzimmer anfangen? Er hätte besser daran getan, einen Tiger auf sein Schiff zu bringen.
Zurück in ihrer Kabine, nahm Jean den Schlüssel, der ihr ausgehändigt worden war, und schloss die Tür hinter sich ab. Dann legte sie sich mit angezogenen Beinen auf das Bett und hielt sich mit zitternden Händen ihren Magen, der noch immer ganz aufgewühlt war von den Schrecken, mit denen sie sich hatte auseinandersetzen müssen.
Erst nach und nach erkannte sie, dass sie nicht nur von Nikolais Geschichten so betroffen war, die durch ihre Fantasie erschreckend lebendig wurden, sondern dass sie auch seine Emotionen nachempfand. Seine Empörung war eine lebendige Flamme in ihm, die er benutzt hatte, um ihre zu entzünden. Diese seltsame Verbindung zwischen ihnen war ... nicht gut.
Nikolai Gregorio mochte die Seele und kämpferischen Fähigkeiten eines Piraten haben, aber er lebte nach seinen Idealen, wie es einem presbyterianischen Priester alle Ehre gemacht hätte. Sie erinnerte sich nur zu gut an die Fassungslosigkeit und Freude der befreiten Galeerensklaven. Gregorio hatte ihnen das größte Geschenk gemacht, das man sich vorstellen konnte - und das zu einem nicht geringen Risiko für sich selbst und seine Mannschaft.
Jean beneidete ihn um diesen leidenschaftlichen, aber auch pragmatischen Idealismus. Als sie sich auf den Weg gemacht hatte, um sich der Armee von Bonnie Prince Charlie anzuschließen, war sie von der gleichen Leidenschaft erfüllt gewesen. Der Traum, Schottland von der englischen Unterdrückung zu befreien, war
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