Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition)
plündern.«
Sie fixierte ihn mit einem durchdringenden Blick. »Was seid Ihr dann, Captain Gregorio?«
»Ein Mann, der sein Leben der Beendigung der Sklaverei gewidmet hat!«, erwiderte er scharf.
Sie schnappte nach Luft. »Das ist doch absurd! Die Sklaverei ist ein zu großer, ein zu wesentlicher Bestandteil dieser Welt, als dass ein Einzelner ihr ein Ende setzen könnte. Allein der westindische Zuckerhandel ist ein maßgeblicher Teil des Welthandels und erfordert unzählige Sklaven. Dazu kommen noch die Galeerensklaven, die Sklaven in Amerika, in Asien, in Afrika. Überall auf dieser Welt. Wo würdet Ihr beginnen, eine Institution zu Fall zu bringen, an der so viele Menschen beteiligt sind?«
Seine Augen wurden schmal. »Glaubt Ihr, dass Sklaverei die natürliche Lebensordnung ist?«
Auch sie verengte ihre Augen. »Ich bin Schottin und denke daher nicht, dass irgendein Mensch das Recht hat, einen anderen zu besitzen. Aber in der Geschichte der Menschheit, soweit sie aufgezeichnet ist, hat es schon immer Sklaverei gegeben, und sicher auch schon vorher. Haltet Ihr es da für lohnenswert, Euer Leben in den Dienst einer solch unmöglichen Aufgabe zu stellen?«
»Ich habe nicht gesagt, dass es mir gelingen wird. Aber heißt das, dass ich es nicht wenigstens versuchen soll?«
»Vom moralischen Standpunkt aus betrachtet ist es natürlich sehr nobel, ein solch immenses Übel zu bekämpfen«, sagte sie nachdenklich. »Doch selbst wenn Ihr Euer Leben lang Galeerensklaven befreit, wird nur eine relativ kleine Anzahl von Menschen davon profitieren. Ihr werdet keine wirkliche Veränderung damit herbeiführen.«
»Ihr habt die Sklaven heute gesehen. Hat ihre Befreiung für sie eine Veränderung herbeigeführt?«
Jean biss sich auf die Lippe. »Für sie habt Ihr allerdings etwas verändert.«
Nikolai machte eine ausholende Geste, die das ganze Schiff mit einschloss. »Meine Männer waren alle Sklaven. Obwohl es ihnen freisteht zu gehen, wohin sie wollen, ziehen sie es vor, bei mir zu bleiben und andere zu retten. Es ist eine gefährliche, aber sehr befriedigende Arbeit.« Er gab sich keine Mühe, die Verachtung aus seiner Stimme fernzuhalten. »Sind Eure Bälle und Picknicks befriedigend, Jean Macrae? Ihr habt nicht einmal einen Ehemann, von Kindern ganz zu schweigen. Sagt mir, inwiefern Euer Leben sinnvoller als das meine ist.«
Sie fuhr zusammen, als hätte er sie geschlagen. Nach langem Schweigen antwortete sie: »Ihr habt recht. Auch wenn Ihr die Sklaverei als Institution nicht beseitigen könnt, ist es doch sehr sinnvoll, was Ihr tut.«
»Seid Euch nicht so sicher, dass die Sklaverei nicht abzuschaffen wäre. Es würde nicht schnell gehen und bestimmt nicht leicht sein, doch wenn es einen Weg gibt, werde ich ihn finden«, sagte er aus tiefster Überzeugung. »Ich bete zu den Vorfahren um Hilfe.«
»Ihr betet zu Euren Vorfahren?«, fragte sie überrascht. »Dann seid Ihr also nicht ganz gottlos.«
»Die Vorfahren sind keine Götter.« In einer Ecke seiner Kabine befand sich ein kleiner Altar, der dem seiner verstorbenen Großmutter nachempfunden war. Er wünschte, er hätte mehr von ihrer Magie gelernt, bevor sie aus der Welt geschieden war. Manchmal, wenn er die Geister seiner Vorfahren anrief, hatte er das flüchtige Gefühl, dass er mehr zur Bekämpfung der Sklaverei tun könnte, doch was genau das war, entzog sich ihm.
Seine Unzufriedenheit darüber war nichts Neues. Durch Macrae und Polmarric hatte er ein bisschen über Magie erfahren und noch mehr von seiner eigenen entdeckt. Aber dann war er zum Mann herangewachsen und hatte aus reiner Selbsterhaltung den größten Teil seiner Macht unterdrücken müssen. Die Warnung, die er von den Wächtern erhalten hatte, war, dass seine Magie, wenn sie nicht unter Kontrolle gehalten wurde, ihn vernichten könnte. Er war so gut darin geworden, seine Macht zu unterdrücken, dass sie fast nicht mehr vorhanden war. Wahrscheinlich war der größte Teil von ihr durch mangelnden Gebrauch verkümmert.
Die wenige Macht, die er also noch besaß, genügte aber immerhin, um ihm in so manchen schwierigen Situationen zu Hilfe zu kommen. Wie beispielsweise Santola vor vorüberfahrenden Schiffen zu verbergen. Doch er wusste, dass er ein blutiger Amateur und kein wahrer Magier war. Eine der größten Sünden Macraes war gewesen, dem jungen Nikolai atemberaubende Möglichkeiten zu eröffnen, die nie verwirklicht werden würden.
Die schottische Hexe hatte mit Sicherheit die
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