Die Steine der Fatima
zwangsläufig große Macht haben, wenn es ihm gelungen ist, mich tausend Jahre durch die Zeit zu schicken«, entgegnete Beatrice bitter. »Du scheinst viel über diesen Stein zu wissen. Vermagst du mir auch zu sagen, wie er mich wieder nach Hause bringen kann? Muss ich auf irgendeine bestimmte Planetenkonstellation warten oder bei Vollmond…«
»Das alles kann ich dir nicht beantworten«, unterbrach Samira sie. »Du musst es selbst herausfinden. Mein Wissen über die Steine der Fatima ist lückenhaft, und dabei weiß ich mehr als die meisten. Man erzählt sich, dass die Macht der Steine ihren Hütern die Fähigkeit verleiht, große Reisen zu unternehmen. Und in der Legende heißt es, dass derjenige, der sich würdig erweist, die Geheimnisse der Steine ergründen kann.«
Beatrice stöhnte auf. »Ich hatte gehofft, ich würde von dir einen Rat erhalten, dabei gibst du mir nur noch mehr Rätsel auf.«
»Ich gab dir bereits einen Rat. Rede mit niemandem über den Stein. Selbst jenen, die du deine Freunde nennst, kannst du nicht vertrauen. Das Streben nach dem Wissen und der Macht, die der Stein seinem Hüter verspricht, kann schnell in Gier umschlagen. Und Gier ist in der Lage, selbst ein gutes Herz zu verführen«, erwiderte Samira ernst. »Aber wenn du es möchtest, werfe ich einen Blick in deine Zukunft. Vielleicht sehe ich etwas, das dir nützlich sein kann.«
Beatrice zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Warum nicht?«
»Bedenke aber, seine Zukunft zu kennen ist eine schwere Bürde. Uns Menschen gelingt es nicht, unserem Schicksal zu entfliehen oder es zu ändern, wir müssen mit dem Wissen leben. Nicht jeder Mensch kann dies ertragen und dabei noch sein Glück finden. Willst du das?«
Beatrice zuckte erneut mit den Schultern. Sie glaubte ohnehin nicht an solchen Hokuspokus. Was konnte es also schaden? »Ja, ich will.«
Samira lächelte.
»Dann reiche mir deine Hände, Beatrice.«
Samira blickte angespannt und ernst in Beatrices Handflächen und erzählte ihr schließlich von einer bevorstehenden Dunkelheit, vier Männern in ihrem Leben, einer großen Gefahr und einer großen Herausforderung.
Beatrice musste sich bemühen, ernst zu bleiben. Vermutlich hätte sie ähnliche Voraussagen selbst machen können, dazu brauchte man nur ein bisschen gesunden Menschenverstand. Die große Herausforderung war schon darin gegeben, dass sie in einem fremden Zeitalter und einer fremden Kultur lebte. Und dass ihr Gefahr drohte, falls wirklich jemand an die Legende vom Stein der Fatima glaubte, dazu brauchte man nun wahrlich keine hellseherischen Fähigkeiten. Mit der Dunkelheit konnte alles gemeint sein – eine Krankheit, ein geistiges Problem, das sich nicht lösen ließ, Traurigkeit über einen Verlust –, es kam lediglich auf die Interpretation an und würde sich schon allein deshalb erfüllen. Das Einzige, was Beatrice ein Rätsel blieb, war die Zahl vier. Jeder Wahrsager vermied es, so genaue Aussagen zu machen, dass man ihn später darauf festlegen konnte. Wieso also hatte Samira diese Zahl genannt? Andererseits ließ sich die Wahrheit dieser Aussage schlecht nachprüfen. Wenn sie sich bei Samira irgendwann einmal erkundigen würde, wo denn der vierte Mann bliebe, würde sie ihr einfach sagen, sie müsse noch Geduld haben.
Als Beatrice wieder zu Hannah in den Flur vor dem Teppich ging und das angstvolle Gesicht der Dienerin sah, bekam sie ein schlechtes Gewissen. Offensichtlich war sie viel länger bei Samira geblieben, als sie gedacht hatte.
»Herrin, endlich seid Ihr zurück!«, rief Hannah erleichtert aus. »Ich begann schon, mir Sorgen um Euch zu machen.«
»Es tut mir leid, Hannah«, erwiderte Beatrice, »aber ich habe einfach die Zeit vergessen. Schaffen wir es denn, rechtzeitig wieder im Palast zu sein?« Hannah nickte eifrig. »Natürlich, Herrin, doch wir sollten uns beeilen. Es ist schon spät.«
Schweigend liefen die beiden durch die engen, verwinkelten Gassen Bucharas zu dem geheimen Eingang an der Palastmauer zurück. Es war immer noch heiß, obwohl die Sonne nicht mehr ganz so hoch am Himmel stand, und schon nach kurzer Zeit rann Beatrice der Schweiß förmlich in Bächen am Körper hinab. Außer Atem und völlig erschöpft erreichten sie wieder die Palastmauer, zogen in der Geheimkammer ihre eigenen Kleider an und hasteten zum Palast zurück. Dort herrschte immer noch Mittagsstille. Niemand begegnete ihnen auf den Fluren. Unbemerkt kehrte Beatrice in ihr Zimmer zurück.
Es war spät an
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