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Die steinerne Pforte

Die steinerne Pforte

Titel: Die steinerne Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Prevost Andre
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seinen Sohn nicht erzieht!«
    »Schon gut, mein Schatz«, beschwichtigte Rudolf weltmännisch, »er kann doch nichts dafür. Was ihm fehlt, ist einfach eine härtere Hand, mehr Autorität. Hat Allan nie an ein Internat gedacht? Ich kenne da ein ausgezeichnetes in den USA, speziell für schwierige Kinder oder solche, die kein ordentliches Zuhause haben. Zwei Jahre dort, und sie gehen wieder in Reih und Glied.«
    Sam stieß geräuschvoll seinen Stuhl zurück.
    »Entschuldigt mich, ich lege mich hin. Auf diesen Sitzen im Zug schläft man nicht besonders gut.«
    Rudolf hielt ihn im Vorbeigehen am Handgelenk fest und sah sich die Kratzer an seinem Arm an. »Ein ganz harter Brocken, unser Sammy, was?«, rief er. »Und was ist das hier? Hast du dich geprügelt?«
    Samuel riss sich mit einem Ruck los. Am liebsten hätte er ihn angegiftet, dass er sich an den Sträuchern beim Ramses-Tempel aufgeritzt hatte. Aber er war nicht sicher, ob Rudolf das gefressen hätte.
    »In dem Waggon war eine Katze.«
    Rudolf hielt seinem Blick stand. Es lag etwas Feindseliges in ihm. Dieser Typ war nicht nur ein hirnloser Angeber, sondern auch ein gefährlicher.
    »Du nimmst nicht zufällig irgendwelche Drogen, Sammy? Es würde mich nicht wundern und würde immerhin einiges erklären.«
    »Es ist nett, dass Sie sich um mich kümmern, Rudolf, aber ich kann Sie beruhigen, dafür habe ich schon einen Vater.«
    Damit verließ er das Zimmer. In der folgenden Stille konnte man die Spannung förmlich in der Luft knistern hören. Kaum war Sam oben, als er hörte, wie Evelyn sich von Neuem ereiferte: »Aber Papa, hast du nicht diese Frechheiten gehört? Und da sagst du nichts? Dieser Junge dürfte einen schlechten Einfluss auf Lili ausüben!«
    »Meine arme Evelyn«, seufzte Grandpa, »du wirst nie etwas von Kindern verstehen.«
    Sam schlug die Tür hinter sich zu; er hatte genug gehört. Obwohl ihn Tante Evelyns Gerede im Grunde wenig interessierte. Es gab Wichtigeres.
    Eigentlich wollte er sich sofort ins Bett legen – ihm fielen vor Müdigkeit die Augen zu –, stattdessen legte er jedoch das Album von Linkin Park ein, nahm die Kopfhörer und setzte sich an den Computer. Unter anderen Umständen hätte er sich bei seinem Lieblingsserver im Internet eingeloggt und online Star Wars gespielt. Es gab nichts Entspannenderes, als zwischendurch mal eine Stunde Raumschiffe abzuschießen . . . Aber an diesem Abend hatte er keine Lust zu spielen. Nein, er hatte das Bedürfnis, eine Verbindung zu den Welten herzustellen, die er vor Kurzem verlassen hatte. Wollte nach Spuren suchen, die ihm bewiesen, dass sie irgendwann wirklich existiert hatten, nicht nur in seiner Einbildung.
    Er gab »Theben« in die Suchmaschine ein, dann »Setni« und »Ahmousis«. Die Fotos auf dem Bildschirm zeigten die Stadt, wie sie heute aussah, Überreste des Palastes am Westufer des Nils, die Ruinen der früheren Arbeitersiedlung – er hätte heulen können –, das ockerfarbene Steilufer mit den Grabhöhlen. Über Setni und Ahmousis fand er nichts Genaues, nur eine alte ägyptische Legende: Demnach war Setni ein Magier, der eines Tages das große Zauberbuch des Gottes Thot gestohlen und eine Serie von Unglücksfällen ausgelöst hatte. Handelte es sich hier um dieselbe Person? Der Schluss lag verlockend nahe.
    Dann gab er »Festung von Souville« und »Erster Weltkrieg« ein und stieß auf einen ausführlichen Bericht über die Schlacht bei Verdun 1916. Die Kämpfe hatten monatelang in der Gegend gewütet und Hunderttausende an Todesopfern gefordert. Das Dorf Fleury war einer der meistumkämpften Orte an der Front gewesen und schlicht von der Landkarte radiert worden. Samuel fröstelte: Manchmal konnte auch das Internet eine Art Zeitreise sein.
    Aber am meisten schockierte ihn die Seite über die Insel Iona. Nachdem er eine Weile herumgesucht hatte, um etwas über die Geschichte von Colum-Chill herauszufinden, stieß er auf Fotos, die die Insel genau so zeigten, wie er sie erlebt hatte: die Feuchtwiesen, die Steinmauern, den wechselhaften Himmel . . . Über weitere Links fand er schließlich außergewöhnliche Abbildungen der Evangeliensammlung, die die Bohnenstange ihm im Skriptorium gezeigt hatte. Die gleiche Schrift, die gleichen Bilder, die gleichen Farben! Als er den Text zu den Reproduktionen las, kamen ihm doch noch die Tränen. »Man vermutet, dass dieses Manuskript, eins der schönsten, das uns aus dem Mittelalter erhalten ist, um 800 von den Mönchen des Klosters auf

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