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Die steinerne Pforte

Die steinerne Pforte

Titel: Die steinerne Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Prevost Andre
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Erdnüsse . . . Limonade! Er hatte seit einer Ewigkeit keine Limonade getrunken! Viel besser als dieses Bier!
    »Man könnte meinen, du hättest den ganzen Tag nichts zu essen bekommen«, schniefte Grandma lächelnd.
    Sie hatte sich neben ihn gesetzt und legte immer wieder ihren Arm um seine Schultern, als wolle sie sichergehen, dass er wirklich wieder da war.
    »Wir hatten solche Angst um dich!«
    »Du hättest aber auch wirklich Bescheid sagen können«, mischte sich Tante Evelyn mit verkniffenem Mund ein. »Ist dir eigentlich klar, welchen Kummer du deinen Großeltern bereitet hast?«
    Samuel saß mit gesenktem Kopf da und verschlang stumm die herrlich knusprigen Quarkröllchen und die wunderbar salzigen Erdnüsse. Schweigen ist Gold!
    Mit am Tisch saßen außerdem Grandpa, der mit verlorenem Blick an die Decke starrte, und Rudolf, Lilis Stiefvater. Na ja, nicht ganz, noch war Lilis Mutter nicht mit ihm verheiratet. Sie waren schon seit ein paar Jahren zusammen, zunächst heimlich und erst seit sieben oder acht Monaten auch offiziell. Sam mochte Tante Evelyn nicht besonders. Als sie noch in dem großen Haus in Bel-Air gewohnt hatten, war sie oft gekommen, vor allem, um sich auszuheulen. Sam erinnerte sich noch an viele peinliche Gespräche, bei denen sie meist vor Selbstmitleid fast zerflossen war und ihrem Bruder Allan vorgeworfen hatte, er könne nicht verstehen, wie schwer es sei, allein ein Kind großzuziehen. Dann hatte sie Rudolf getroffen, und alles war anders geworden: Sie heulte jetzt weniger, dafür mäkelte sie umso mehr an ihrem Bruder herum. Nachdem er seine Frau verloren hatte, hielt sie ihm ständig Vorträge: Du solltest das Haus in Bel-Air nicht verkaufen, du solltest keine Buchhandlung kaufen, du solltest nicht immer noch Schwarz tragen. Du solltest deinen Sohn nicht die Schule wechseln lassen, du solltest ihn nicht zum Judo schicken, Hockeyspielen wäre viel besser und so weiter und so weiter.
    Von Rudolf sah man nicht viel. Er hatte ein Import-Export-Geschäft und war ständig auf Reisen. Er verdiente sehr viel Geld und ließ sich keine Gelegenheit entgehen, um Lili mit den teuersten Geschenken zu überschütten. Jedoch ohne großen Erfolg: Lili hielt ihn für einen hirnlosen Angeber, der ihr ihre Mutter wegnahm, wenn er mit ihr durch die halbe Welt reiste. Sam hatte bislang noch gar keine Meinung zu ihm: Es war das erste Mal, dass er mit Rudolf an einem Tisch saß. »Und was hast du in den zwei Tagen getrieben?«, fragte Tante Evelyn spitz.
    »Ich bin spazieren gegangen«, antwortet Sam.
    »Spazieren gegangen? Willst du uns auf den Arm nehmen? Deine Großmutter sitzt da und findet vor Angst keine Ruhe mehr, und du gehst spazieren?«
    »Sei nicht so hart mit ihm«, unterbrach Grandma. »Du weißt doch, dass Sam in letzter Zeit etwas verstört war. Allan hat sich seit zehn Tagen nicht gemeldet, und das ist nicht leicht für ihn.«
    »Was dieses Thema angeht«, schnappte Evelyn und stieß ein bösartiges, krampfhaftes Lachen aus, »wenn man auf mich gehört hätte, war er schon längst gezwungen worden, zum Psychiater zu gehen. Das ist doch nicht normal: sich in seinen Büchern zu vergraben und nur noch alten Erinnerungen nachzuhängen. Es ist doch klar, dass Samuel aus dem Ruder läuft, nach all dem.«
    Samuel entschied, darauf lieber nichts zu erwidern, obwohl er sich sonst gern über Tante Evelyn lustig machte. Die Packung Erdnüsse allerdings . . .
    »Und wo hast du geschlafen?«, bohrte sie weiter.
    »Am Bahnhof«, log Sam.
    »Am Bahnhof? Aber du hättest überfallen werden können!«
    »Im Depot war ein Zug, bei dem die Türen nicht ganz geschlossen waren. Da habe ich mich durchgezwängt.«
    »Was für ein Zug?«, fragte Rudolf plötzlich dazwischen. Samuel sah ihn an. Er war an die zehn Jahre älter als Evelyn – graue Schläfen, kantiges Kinn, ganz der sonnengebräunte Geschäftsmann, Anzug und Armbanduhr zehnmal so teuer wie der Monatslohn eines Arbeiters. Und was noch schlimmer war, er schien Sam seine Geschichte nicht abzukaufen.
    »Ein ganz normaler Zug, mit Sitzbänken und Fenstern«, gab Sam zurück.
    »Im Depot also? Die Stadt lässt es meines Wissens doch aber bewachen ... es hat im letzten Jahr ein paar üble Vorfälle gegeben. Hattest du keine Angst vor den Hunden?«
    »Ich wollte schon immer einen haben«, gab Sam in leicht trotzigem Ton zurück.
    »Jetzt hört euch diesen Flegel an!«, ereiferte sich Evelyn. »Hört ihr, wie er mit Rudolf redet? Das kommt davon, wenn man

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