Die steinerne Pforte
braunen Brei gestampft. Es herrschte immer noch ein aufgeregtes Treiben in der Stadt, und Sam hatte endlich Gelegenheit, auf dem Turnierplatz die Ritter in ihren Rüstungen zu bestaunen, umgeben von Knappen und Herolden, die die Heldentaten der Kämpfer priesen und vor jedem Auftritt eine Fanfare auf ihrer Trompete anstimmten. Helme und farbenprächtige Wappenschilde leuchteten in der hellen Mittagssonne. Sam war beeindruckt von den Panzern und der Größe der Turnierpferde. Sie sahen aus wie richtige Kriegsmaschinen. Die Zusammenstöße waren spektakulär. Unter dem Beifall der Menge zerbarsten die Lanzen unter bedrohlichem Krachen, die Kämpfer stürzten zu Boden und wirbelten Wolken von Staub und Matsch auf. Sam gelang es trotz des Gedränges, ein paar Fotos zu machen, indem er die Schöße seines Mantels auseinanderklappte. Lange hatte er sich jedoch nicht damit aufgehalten, er hatte Wichtigeres zu tun.
Als er schließlich bei den Ständen vor der Börse ankam, erkannte er den Wechsler mit Namen Bartolomeo sofort wieder: Es war der, der am lautesten palaverte. Zu seiner Linken saß wieder der Neffe und beugte sich über sein Rechenbrett. Sam wartete, bis ein neuer Kunde an den Tisch trat, ließ seine Hand in die Tasche gleiten und klickte auf die Taschenrechnerfunktion des Handys. Ein Teil seiner Zukunft würde sich jetzt entscheiden.
Nach einigen Höflichkeitsfloskeln begannen die beiden Männer zu verhandeln. Der Händler, ein kleiner rundlicher Glatzkopf, war nach Brügge gekommen, um Stoffe einzukaufen. Er wollte 642 venezianische Dukaten in Brügger Pfund und Sol umtauschen. Nach seinen gestrigen Beobachtungen und Baltus’ Erklärungen wusste Sam, dass ein Pfund so viel war wie zwanzig Sol, und ein Sol zwölf Denar, demnach entsprach ein Pfund 240 Denar. Nicht ganz unkompliziert für jemanden, der an das Dezimalsystem gewöhnt war, aber er hatte ein wenig geübt.
»Ein Sol und fünf Denar für eine Dukate«, schlug Bartolomeo vor.
»Ein Sol und sieben Denar«, konterte der andere.
»Gabriel, willst du, dass ich mein Geschäft zumachen muss? Dass ich bis zum nächsten Mal bankrott bin? Ein Sol und sechs Denar, weiter kann ich nicht gehen.«
»Einverstanden«, brummte der andere.
»Enzo, bitte! 642 Dukaten, für einen Sol und sechs Denar die Dukate.«
Der Neffe begann, die Jetons hin und her zu schieben, während Sam, das Gesicht halb in seinem Mantel verborgen – dem beleuchteten Display sei Dank, wild drauflostippte: 1 Sol entspricht zwölf Denar, überlegte er, also 1 Sol und 6 Denar = 1,5 Sol. 642 Dukaten x 1,5 Sol = 963 Sol. Ein Pfund ist 20 Sol wert, also: 963/20 = 48,15 Pfund in 642 Dukaten. Ich nehme 48 in den Speicher. Bleiben 0,15 Pfund in Sol umzurechnen. 1 Pfund = 20 Sol, also 0,15 Pfund = 0,15 x 20 Sol = 3 Sol – auf diese Art von Rechensport hatte er sich vorbereitet. Wie viel Pfund noch gleich ? Speichertaste: 48.
»48 Pfund und 3 Sol«, verkündete er laut und deutlich.
Er hatte im Ganzen vielleicht vierzig Sekunden gebraucht.
Enzo, angesichts der unerwarteten Konkurrenz ziemlich verwirrt, musste zwei Mal nachrechnen, bis er mindestens zwei Minuten später bestätigen konnte: »Ah, ja, Onkel. 48 Pfund und 3 Sol, stimmt.«
Bartolomeo warf Sam einen stummen Blick zu und zahlte den Stoffhändler aus, nachdem er hastig seine Kassette unter der Bank hervorgezogen hatte. Da kam auch schon der nächste Händler, der 300 Real in Brügger Münzen tauschen wollte. Die Auseinandersetzung war noch erbitterter als die vorherige – diesmal drohte Bartolomeo damit, sich die Pulsadern aufzuschneiden –, bis die beiden Herren sich auf den Wechselkurs geeinigt hatten: 1 Real für 35 Denar.
»Enzo: 300 Real für 35 Denar den Real«, wies Bartolomeo seinen Neffen an, während er Sam aus den Augenwinkeln beobachtete.
Samuel verlor keine Sekunde. 300 Real x 35 Denar =10 500 Denar. 1 Pfund entspricht 240 Denar, 10 500 Denar sind demnach: 10 500/240 = 43,75 Pfund. Die gleiche Rechnung wie eben für die Dezimale: 1 Pfund = 20 Sol, als 0,75 Pfund = 0,76 x 20 Sols = 15 Sol.
»43 Pfund und 15 Sol«, erklärte er stolz.
Der arme Enzo kam ganz schön ins Schwitzen und brauchte eine halbe Ewigkeit, bis er zum selben Ergebnis gelangte. Als der Kunde gegangen war, wandte Bartolomeo sich an Sam: »Was willst du eigentlich, Kleiner?«
»Arbeit«, antwortete Sam wie aus der Pistole geschossen.
»Du meinst, du willst rechnen?«
»Genau.«
»Ma, du hast ein Geheimnis, nicht?«
Mit dieser Frage hatte Sam
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