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Die steinerne Pforte

Die steinerne Pforte

Titel: Die steinerne Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Prevost Andre
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Vergangenheit unkalkulierbare Folgen für die Zukunft gehabt hatte. Wäre das hier auch der Fall? Samuel zögerte . .. Natürlich wäre es eine ganz andere Sache, wenn Baltus vor van Eyck gelebt hätte. Ihm die Geheimnisse des großen Malers zu verraten, bevor dieser sie überhaupt erfunden hätte, wäre sicher ein schwerwiegender Fehler gewesen. Doch Baltus und van Eyck lebten zur selben Zeit in der selben Stadt... Außerdem hatte sich Baltus Sam gegenüber sehr großzügig erwiesen. Ihm bei seinen Forschungen zu helfen, bedeutete, sich auf diese Weise bei ihm zu bedanken. Trotzdem musste er mit großer Vorsicht vorgehen . . .
    »Habt Ihr es schon mit Terpentin-Essenz probiert?«
    Baltus starrte ihn an.
    »Womit?«
    »Terpentin-Essenz.«
    »Ihr meint das Terpentin aus Venedig?«
    »Ah, ja. Mein . . . mein Großvater sagte immer Terpentin-Essenz dazu.«
    »Was hat Euer Großvater damit zu tun?«
    Das fragte Sam sich auch gerade.
    »Also ... zufällig war mein Großvater auch so etwas wie ein Maler.«
    »Euer Großvater war Maler?« »Nun, nicht direkt. Er . . .«
    Samuels Blick blieb an einem Tontopf hängen, in dem ein paar Pinsel steckten.
    »Er bemalte Töpfe.«
    »Töpfe?«
    »Oder besser gesagt, Vasen. Ja, er bemalte Vasen.«
    »Seltsame Vorstellung, aber warum nicht. Aber was hat das mit dem Terpentin aus Venedig zu tun?«
    »Mein Großvater sagte immer: ›Verstehst du, Samuel, damit die Farben leuchten, musst du immer etwas Terpentin-Essenz hineingeben.‹«
    »Terpentin aus Venedig«, überlegte Baltus. »Warum eigentlich nicht? Das ist ein edles Harz, das sich bestimmt ausgesprochen gut mit den Farben vermischen lässt. Natürlich müsste man die genaue Temperatur feststellen, auf die man es erhitzen muss, aber wenn man es dem Öl und den Pigmenten beimischte, würde es ihnen Geschmeidigkeit und eine gewisse Transparenz verleihen . . .
    Terpentin aus Venedig! Ich muss zugeben, darauf wäre ich nie gekommen!«
    Die Tür zur Straße fiel ins Schloss, und Yser, durch den Rauch und den Geruch alarmiert, rief erschrocken: »Papa? Papa, geht es dir gut?«
    »Ich bin im Atelier, mein Schatz!«
    Das junge Mädchen kam im Laufschritt herein, die Wangen noch rosig vor Kälte.
    »Papa, was . . .?«
    »Es ist nichts«, beruhigte Baltus sie, »mir ist nur etwas angebrannt. Aber unser Freund hier hat mir soeben einen äußerst bedeutenden Vorschlag gemacht! Ich muss sofort zum Krämer am Großen Platz gehen, ein paar Dinge besorgen. Derweil. . .«
    Sein Blick wanderte zwischen Sam und seiner Tochter hin und her.
    »Ihr liebt die Malerei, habt Ihr gesagt, Herr Waagen? Ihr könnt mit dem Pinsel umgehen? Wäret Ihr in der Lage, dieses Gemälde fertig zu stellen?«
    Er wies auf Ysers Porträt auf der Staffelei.
    »Ich?«
    »Ja, Ihr! Was haben wir zu verlieren? Ich könnte es selbst erst in einigen Tagen schaffen, und dann wird es zu spät sein! Das Gesicht ist so gut wie abgeschlossen, der Hals und der Hut ebenfalls, bleiben noch die Hände und der Faltenwurf des Kleides. Im schlimmsten Fall, wenn es zu schlecht sein sollte, behalten wir es selbst. Und wenn es akzeptabel ist, versuchen wir unser Glück. Wer weiß, vielleicht habt Ihr etwas vom Talent Eures Großvaters geerbt?«
    Samuel konnte es immer noch nicht fassen. Er sollte wirklich malen! Noch dazu mit Yser als Modell!
    »Ich bin nicht sicher, ob ich . . .«
    »Nun lasst Euch doch nicht so bitten! Ihr würdet mir einen großen Dienst erweisen! Yser, meine Hübsche, lass den jungen Mann nicht warten und zieh schnell dein Kleid an. Meine Farben sind bereits auf der Palette, seht Ihr, ich habe sie vorhin vorbereitet. Sic müssen nur ein wenig mit dieser Flüssigkeit hier aufgefrischt werden. Arbeitet mit leichten Strichen, vor allem bei den Händen. Das Kleid ist der dunkelste Teil, da werdet Ihr weniger Schwierigkeiten haben. Lasst einfach das, was ich gemacht habe, wie es ist, und arbeitet mit großer Vorsicht weiter. Denkt immer daran: Wie es auch ausgeht, wir haben nichts zu verlieren!«
    Baltus griff nach seinem Mantel und stürmte davon, als stünde das Haus in Flammen. Samuel blieb allein im Atelier zurück, unsicher, was er nun machen sollte! Er studierte das Porträt: Insgesamt war es durchaus gelungen, wenn auch ohne wirkliches künstlerisches Talent. Es gab noch einige weiße Flächen, an denen die Formen nur mit Bleistift skizziert waren. Samuel hatte noch nie an einer echten Leinwand gearbeitet, aber wenn Baltus darauf bestand . . .

Yser erschien nach

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