Die steinernen Schatten - Das Marsprojekt ; 4
eine meiner E-Mails blockiert. Darf ich erfahren, was daran auszusetzen ist?«
Ein Moment Schweigen, dann sagte die synthetische Stimme: »Ich habe den Verdacht, dass – der Text eine verschlüsselte Botschaft enthält. Laut Anweisung des Statthalters darf sie deshalb nicht weitergeleitet werden.«
Täuschte er sich oder klang die Stimme etwas schleppend? Das wäre kein Wunder. Eine KI der Baureihe 20 war sicher überfordert mit der Aufgabe, die rapide gewachsene Marssiedlung zu verwalten und gleichzeitig den gesamten Informationsfluss zu zensieren. »Wie kommst du darauf? Es ist ein völlig normaler Brief. Er geht an einen Freund, bei dem ich mich lange nicht gemeldet habe. Und weil ich meiner Arbeit gerade ohnehin kaum nachgehen kann, wollte ich die Gelegenheit nutzen, ihm ausführlich zu schreiben. Nichts weiter.«
Das Schweigen wurde noch länger. AI-20 war an den Grenzen ihrer Kapazität angelangt, eindeutig.
»Ja.« Pause. »Auf den ersten Blick – wirkt Ihre Mail so. Aber ich habe – im Melderegister Ihrer Geburtsstadt Utrecht nachgefragt. Sie haben nur – einen einzigen Onkel, Jan Van Leer, wohnhaft in Kapstadt, Südafrika. Alle übrigen – in Ihrem Schreiben erwähnten – Verwandten sind – unauffindbar – deshalb –«
Ein hässlicher Piepston erklang. Die Verbindung brach ab.
» Wel alle duivels «, knurrte Van Leer und schaltete das Gerät aus.
Ein Punkt mehr auf der Liste der Vorwürfe, die er Pigrato zu machen hatte. Die illegale Zensur überanstrengte die KI der Siedlung. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ein schlimmer Fehler passieren würde.
Wim Van Leer konnte nicht mehr schlafen. Er setzte sich an den Tisch, schaltete seinen tragbaren Computer ein und begann zu schreiben.
»Darf ich fragen, was du vorhast?«, ertönte die Stimme von AI-20, kaum dass Elinn den Helm ihres Raumanzugs aufgesetzt und verriegelt hatte. »Noch dazu um diese Uhrzeit?«
Natürlich hatte Elinn damit gerechnet, dass die Künstliche Intelligenz sich früher oder später melden würde. AI-20 hatte die Sensoren überall. Und auf die Marskinder aufzupassen war eine ihrer vorrangigsten Aufgaben.
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, erklärte Elinn seelenruhig, während sie den Anzug durchcheckte. Alles auf Grün. Sogar die Konzentratbehälter des Helms waren voll. »Ich habe eine Recyclingeinheit angelegt, siehst du?«
»Ja, das sehe ich«, erwiderte AI-20. »Aber das beantwortet meine Frage nicht.«
Da AI-20 sowieso alles mitkriegen würde, blieb Elinn so dicht bei der Wahrheit wie möglich. »Ich werde an Bord des Flugbootes gehen, das um vier Uhr zum Löwenkopf startet. Es ist wichtig, dass du niemandem etwas davon verrätst.«
Die Künstliche Intelligenz schien nachdenken zu müssen. »Und was willst du am Löwenkopf?«
»Ich muss ein Experiment an den blauen Türmen durchführen«, erklärte Elinn. »Ein äußerst wichtiges Experiment, das außerdem dringend ist und nicht warten kann.«
»Und warum soll niemand etwas davon wissen?«
»Weil es geheim ist«, sagte Elinn.
AI-20 schien regelrecht ins Grübeln zu geraten. »Das ist keine Begründung«, stellte die synthetische Stimme schließlich fest, »sondern nur ein anderes Wort für denselben Sachverhalt.«
Elinn sah auf die Uhr. Es ging auf halb vier zu. Höchste Zeit, dass sie sich im Flugboot versteckte. Bestimmt kam der Pilot jeden Moment.
»Wenn andere von meinem Vorhaben erfahren, könnte es sein, dass sie versuchen werden, mich daran zu hindern«, erklärte Elinn, während sie alle Spuren beseitigte, die sie im Schleusenraum hinterlassen hatte. »Deswegen muss ich es heimlich tun.«
»Könnte es nicht sein, dass diese anderen gute Gründe haben, dich von deinem Vorhaben abzuhalten?«
Manchmal war es echt anstrengend, mit AI-20 zu diskutieren. Vor allem, wenn man den Computer herausspürte. Die Maschine, die einfach nicht lockerließ.
»Also, du weißt, dass die Marsianer seit Langem versuchen, mit mir Kontakt aufzunehmen, nicht wahr?« Elinn schaltete das Licht im Schleusenvorraum aus und machte sich auf den Weg hinüber zu Modul 5. »Nur deswegen haben wir die blauen Türme entdeckt, das Rätsel der Mäusegänge gelöst und so weiter. Stimmt doch, oder?«
Was war heute los? Es dauerte ewig, bis AI-20 zugab: »Ja, das ist richtig.«
»Also. Und jetzt kommt der nächste Schritt. Aber du musst mir helfen.«
»Wie soll ich dir helfen?«
»Indem du niemandem verrätst, wo ich bin und was ich vorhabe.«
Schweigen. Elinn hatte die
Weitere Kostenlose Bücher