Die steinernen Schatten - Das Marsprojekt ; 4
sich zu versammeln. »Noch einmal das Bild bitte, auf dem dieser Lichtblitz zu sehen ist. Und das davor. Und die zugehörigen Messwerte.«
Jemand bediente den Projektor, warf die beiden Bilder nebeneinander auf die Leinwand. Das eine davon wirkte einfach nur wie eine überbelichtete Aufnahme; der Blitz selber war nicht zu sehen. Er musste so rasch erfolgt sein, dass die Objektive der Kameras nicht schnell genug hatten abblenden können.
»Ich bitte um Vorschläge«, sagte Professor Caphurna.
Niemand hatte einen Vorschlag. Keiner seiner Assistenten und auch keiner von den Areologen. Alle standen sie nur da, starrten die beiden Bilder an und warteten, dass er eine zündende Idee hatte.
Caphurna nahm eines der Datenprotokolle und studierte es, nachdenklich über seinen Oberlippenbart streichend. Die einzige neue Erkenntnis war, dass jeweils in dem Moment, in dem eines der Kinder die Turmwand durchquert hatte, die Neutrinostrahlung messbar zugenommen hatte.
Neutrinos sind winzige Atomteilchen, ohne Ladung und beinahe ohne Masse, fast nicht vorhanden und deswegen sagenhaft schwer zu messen. Die Sonne sendet unaufhörlich Schauer von Neutrinos aus, die durch alles und jeden im Sonnensystem hindurchflogen, ohne dass man im Normalfall etwas davon mitbekam.
Die blauen Türme reagierten also mit den Neutrinos. Das war bemerkenswert. Bloß half es ihnen kein bisschen weiter.
Caphurna spürte Hilfslosigkeit in sich aufsteigen, als er sah, wie aller Augen auf ihm ruhten. Eine derartige Situation war neu für ihn. Gewiss, er hatte sich sein ganzes Leben lang auf den Moment vorbereitet, in dem die Menschheit in Kontakt mit fremden Intelligenzen und Lebensformen kommen würde – aber das war immer Theorie gewesen. Es hatte keinen Zeitdruck gegeben, keinen Handlungsbedarf, keine Notwendigkeit, Entscheidungen zu treffen. Schon gar nicht welche, von denen Menschenleben abhingen.
Er sah in die Runde, bemüht, sich nichts anmerken zu lassen. Auf Phyllis Palacio, die seinem Eindruck nach den hellsten Kopf von all seinen Assistenten hatte, blieb sein Blick unwillkürlich ein wenig länger hängen. Ein wenig auffordernder.
Sie strich sich eine Locke aus der Stirn, blinzelte scheu und fragte dann leise: »Was ist eigentlich mit dem anderen Turm?«
Carl lag hinter Elinn auf dem Boden und fummelte an der Verbindung zwischen ihrem Recycling-Tornister und dem Anzug herum. Bei einem ihrer Stürze schien sich da etwas verklemmt zu haben.
»Ah, jetzt«, rief Elinn plötzlich. »So ist es besser.«
»Gut«, meinte Carl keuchend. »Das war der Abluft-Anschluss. Der war geknickt.«
»Viel besser«, meinte Elinn.
Urs zögerte mit der Frage, die ihn schon die ganze Zeit beschäftigte. Aber es half ja nichts. »Wie lange halten solche Recycler eigentlich? Ich meine, ohne Aufladen und so?«
Keine Antwort erst mal. Dann sagte Carl: »Ein paar Tage. Eine Woche auf jeden Fall.«
»Hmm«, machte Urs. Das Problem war, dass er allmählich pinkeln musste. »Das ist nicht lang.«
»Lange, wenn man nichts tun kann, als zu warten«, meinte Carl.
Urs schob sich zu dem Messgerät hinüber. Er wartete, bis sich sein Puls beruhigt hatte, dann studierte er die großformatigen Anzeigen. Der oberste der Kästen in dem Gestell zeigte die Temperatur an: fünfzehn Grad Celsius. In dem Kasten darunter leuchteten Rechtecke, auf die jemand mit Permanentstift Kürzel geschrieben hatte wie N2 , O2 , CO2 und so weiter.
»Ich schätze, das Gerät hier analysiert die Atmosphäre«, sagte Urs. »Wenn das stimmt, enthält sie Sauerstoff.« Er untersuchte auch die anderen Seiten des Kastens, aber da waren nur dieselben Leuchtanzeigen noch mal. »Wäre interessant zu wissen, wie viel Sauerstoff.«
»Wieso?«, fragte Carl.
»Wenn die Atmosphäre atembar ist, können wir die Raumanzüge ausziehen.«
»Die Raumanzüge? Ausziehen?«
Urs spürte, dass Carl dieser Gedanke völlig fremd war. Klar, er war es nicht anders gewohnt. Er war noch nie im Leben ohne Raumanzug im Freien herumgelaufen.
»War nur so ein Gedanke«, meinte Urs. »Vielleicht auch nicht unbedingt ratsam. Fünfzehn Grad ist ein bisschen frisch.«
Carl gab ein zustimmendes Brummen von sich. »Die Atmosphäre könnte irgendwelche giftigen Gase enthalten, die das Gerät nicht misst. Oder gefährliche Bakterien.«
Urs nickte. »Stimmt.«
»Ich glaube, es ist besser, wir behalten die Anzüge so lange wie möglich an.«
Urs studierte die Anzeige auf dem untersten Kasten. »1,06 g – was heißt
Weitere Kostenlose Bücher