Die steinernen Schatten - Das Marsprojekt ; 4
Raumanzug bleiben.«
»Urs«, erklärte Carl ernst, »es wird dir nichts anderes übrig bleiben, als in die Hose zu pinkeln. Elinn und mir auch nicht, wenn es so weit ist.«
Urs seufzte abgrundtief. »Klasse. Das wollte ich jetzt hören.«
»Es ist nicht so schlimm, wie es klingt. Die Innenseite des Anzugs ist aus Nano-Dry-Tex, das saugt alle Feuchtigkeit auf und leitet sie ab, egal, ob es Schweiß ist oder was anderes. Und sie ist mit irgendwas beschichtet, das Gerüche jeder Art bindet.«
»Mir ist das schon oft passiert«, bekannte Elinn. Sie erinnerte sich, dass es ihr damals auch gut getan hatte zu hören, dass es fast jedem Raumfahrer irgendwann einmal so ging.
»Eklig«, murrte Urs.
»Du darfst es nicht ewig einhalten, Urs«, mahnte Carl. »Das ist ungesund. Im Extremfall kann man daran sterben.«
Schweigen. Elinn spürte in sich hinein. Wenn man so vom Pinkeln redete . . . Nein, noch musste sie nicht. Gut.
»Nein«, hörte sie Urs leise sagen. Es klang mutlos. »Ich kann’s trotzdem nicht.«
Sie schalteten die Lampen aus, um Energie zu sparen. Warteten. Die Dunkelheit schien seltsam lebendig zu werden, je mehr sich die Augen daran gewöhnten.
»Wir sollten versuchen, ein bisschen zu schlafen«, schlug Carl schließlich vor.
Er hörte Urs unwillig brummen. »Ich bin hellwach.« Er hob den Arm, sah auf die Uhr. »Kein Wunder. Erst zwölf Uhr fünf nach Marszeit.«
Carl war eigentlich auch nicht nach Schlafen zumute, aber er fand den steten Druck der ungewohnten Schwerkraft ermüdend. »Dann versuch zu dösen. Solange es dunkel ist, können wir ohnehin nichts tun. Besser, wir schonen unsere Kräfte.«
Er legte sich so hin, dass sein eines Bein auf der glatten Fläche lag. Auf diese Weise würde er sofort aufwachen, sollte sich der Turm bewegen.
Er war gerade dabei wegzudösen, als er hörte, wie Urs aufstöhnte, ein paarmal seufzte und dann »Mist, blöder« murmelte.
Carl überlegte, ob er etwas sagen sollte. Aber dann ließ er es.
12
Aufbruch ins Unbekannte
Elinn erwachte mit Schmerzen. Schmerzen in der Brust, in den Armen und Beinen. Das musste von ihrem gestrigen Sturz kommen.
Eine Weile lag sie einfach da, unbequem auf den Steinen, und starrte vor sich hin. Es war noch dunkel. Am Himmel standen Sterne, hell und seltsam flimmernd. Der fremde Planet, richtig. Sie waren hier gestrandet und es war ihre Schuld.
Die anderen schliefen noch. Elinn stemmte sich gegen den Boden, schaffte es, sich aufzusetzen. Mühsam zwar, aber es ging. Es war, als hätte ihr Körper sich in den paar Stunden Schlaf erholt. Als hätten die Muskeln Kraftreserven entdeckt, von denen sie nicht gewusst hatte, dass sie sie besaß.
Am Horizont kündigte sich der Sonnenaufgang an. Die Sterne verblassten, als sauge etwas sie auf, so schnell, dass man dabei zusehen konnte. Das Einzige, was nicht verschwand, war ein halber, fahler Mond, der hoch am Himmel stand, im Zenit beinahe, umschleiert von zarten orangeroten Wolkenstrichen.
Je heller es wurde, desto klarer wurde die Luft. Nach wenigen Augenblicken schien sie regelrecht durchsichtig und von seltsamer Tiefe, so, als bestünde die Atmosphäre aus reinem, kühlem Wasser. Dann brach eine Sonne über den Horizont, gewaltig und lodernd wie Feuer, so hell, dass Elinn die Augen zusammenkneifen musste.
Eine fremde Welt. So groß, so weit. Die Schattenrisse von Bergen in der Ferne. Und sie waren hier, waren wirklich hier, auf diesem Planeten, der so anders war als ihre Heimat. Sie hatten die Passage durchschritten, waren dem Ruf der Unbekannten gefolgt . . .
Jetzt wäre es nur schön gewesen zu erfahren, wozu.
Urs erwachte von einem Licht, das ihn blendete. Sonnenlicht. Der fremde Planet, genau.
Er hatte geschlafen. Tatsächlich. Das hatte er nicht erwartet. Nicht nach dem, was in der Nacht passiert war.
Bei der Erinnerung daran schüttelte er sich immer noch. Es war so eklig gewesen! Wie es warm und feucht in seine Hose gelaufen war, als er den Kampf verloren gehabt hatte, wie es sich verteilt hatte, weiter in die Hosenbeine hinab, am Bauch aufwärts . . . Zugleich war es eine so ungeheure Erleichterung gewesen, dem Drang nicht mehr länger standhalten zu müssen, der Qual ein Ende zu setzen. Aber trotzdem. Er hatte sich gefühlt wie ein Baby, das sich nass machte . . .
Doch jetzt war die Nässe tatsächlich verschwunden. Genau, wie Carl es gesagt hatte, war alles aufgesogen worden, abgeleitet. Erstaunlich. Bloß mit dem Geruch, da war er sich nicht so sicher. Ihm war,
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