Die steinernen Schatten - Das Marsprojekt ; 4
war!
Die Sonne stand hoch am Himmel, unglaublich hell und groß. Das Glas der Helme hatte sich so stark abgedunkelt, dass sie einander kaum noch erkennen konnten. Carl hatte gar nicht gewusst, dass sich das Material derart verdunkeln konnte; auf dem Mars war das nie nötig gewesen.
Urs ging voraus, bahnte ihnen den Weg. Sie brauchten nur seinen Spuren im Staub zu folgen.
Dummerweise führte dieser Weg erst einmal in eine Bodenwelle. Zwar war sie so flach, dass er sie von dem Platz aus, an dem sie gelegen hatten, gar nicht gesehen hatte, aber trotzdem . . . Abwärts war angenehm, da half die Schwerkraft. Aber auf der anderen Seite ging es wieder aufwärts, und das tat weh!
Je weiter sie sich vom Turm entfernten, desto dichter war der Boden bewachsen. Ein befremdlicher Anblick. Pflanzen, die einfach so wuchsen, unter freiem Himmel. Ohne dass jemand sie gepflanzt hatte, goss, düngte oder sonst wie pflegte. Es war eine Art störrisches Gras, und es wuchs ohne erkennbaren Zweck in dicken, vertrocknet aussehenden Büscheln.
Und das hier war noch harmlos. Wenn er den Blick hob, sah er in einiger Entfernung regelrechte Wälder; ein Anblick, der ihn beinahe erschreckte. Die Vorstellung, sich von einer geradezu erdrückenden Vielfalt an Lebensformen umgeben, seinen Weg zu bahnen, war . . .
Ungewohnt auf jeden Fall. Aber als Planetenforscher würde er sich solchen Herausforderungen sicherlich noch öfter stellen müssen.
Zwei Dinge wurden Urs in den ersten Stunden ihres mühsamen Marsches klar: Erstens, dass die violetten Dächer nicht so weit entfernt waren, wie er zuerst geglaubt hatte. Zweitens, dass sie heute nur einen Bruchteil der Strecke zurücklegen würden, die er sich vorgestellt hatte.
Das Land ringsum wirkte bestürzend fremd. Wenn er sich umsah, war ihm, als liege auch hier so etwas wie ein roter Schimmer über allem, ganz ähnlich wie auf dem Mars. Und man spürte auch diese Weite, diese Grenzenlosigkeit, die er als europäisches Stadtkind erst auf dem Mars kennengelernt hatte.
Aber sie zu durchqueren, diese Weite . . .! Schon der erste Kilometer war eine Qual. Nach der Bodenwelle machten sie Rast, schafften es danach aber fast nicht mehr, sich noch einmal zu erheben. Ihre Schritte wurden immer kleiner. Erst fiel Elinn zurück, dann Carl und schließlich verließen auch Urs die Kräfte.
Wenn man das Gefühl hat, unsichtbare Zementsäcke zu schleppen, spaziert man nicht einfach so durch die Landschaft. Da ist jeder Schritt Arbeit.
An einem etwas größeren Felsblock, der die Annehmlichkeit bot, sich auch mit Recyclern auf dem Rücken relativ bequem anlehnen zu können, beendeten sie den Marsch für den Tag. »Morgen wird es besser gehen«, erklärte Carl keuchend. »Während wir schlafen, erholt sich unsere Muskulatur. Sie bildet neue Muskelfasern. Mister Taylor hat mir das genau erklärt. Der Schmerz jetzt bedeutet nur, dass die Muskeln anfangen zu wachsen. Wir müssen ihnen bloß Ruhe gönnen.«
Elinn rutschte aus, als sie sich setzte – das heißt, eigentlich ließ sie sich eher fallen –, krachte mit dem Aggregat gegen den Fels, sagte aber kein Wort. Man hörte sie nur heftig atmen.
Urs lehnte den Kopf zurück, an das Polster im Helm. Wie gut es tat zu sitzen! Er fühlte sich wie früher, nach einem Magnet-Scooter -Wettkampf. Wenn die endlosen, zeitlosen Minuten vorbei waren, in denen man alles, restlos alles gegeben hatte, und man nur noch dasaß und wieder zu sich kam, sich sammelte, bis man so weit war, den Blick zu heben und nachzuschauen, wie viele Punkte man gemacht hatte.
Er war völlig außer Form. Auf diesem Planeten herrschte praktisch Erdschwerkraft, aber ihm kam es vor, als trüge er einen Rucksack voller Eisenplatten spazieren. Wie mochte es Carl da ergehen, der auf dem Mars aufgewachsen war und es nicht anders kannte, als federleicht durch die Gegend zu hüpfen? Oder erst Elinn, die es im Gegensatz zu ihrem Bruder nicht einmal für nötig gehalten hatte, im Kraftraum zu trainieren? Ein Wunder, dass sie es so weit geschafft hatte.
Obwohl »weit« in diesem Zusammenhang kaum das richtige Wort war. Wenn er zurückblickte auf die Strecke, die sie bis jetzt bewältigt hatten, packte ihn beinahe Verzweiflung.
Er schloss die Augen. Müdigkeit hüllte ihn ein. Erschöpfung durchdrang ihn bis in die Knochen. Dass es morgen besser gehen würde, wie Carl es behauptete, konnte er sich nicht vorstellen. Eher würden sie sich alle vor Muskelkater kaum rühren können.
Und wie es darüber
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