Die steinernen Schatten - Das Marsprojekt ; 4
zurechtlegen.«
Genug gelauscht. Urs drehte das Wasser wieder auf, ließ es auf sich herabprasseln. Was war er froh, den Raumanzug los zu sein! Und den miefigen, dreckigen Overall erst! Wobei es ein bisschen peinlich war, dass der jetzt so einsam und fleckig in dem Korb lag, den Mrs Nkari ihm hingestellt hatte. Am liebsten hätte Urs das Ding irgendwohin gestopft, wo man es nie wieder fand.
Als er, in einen farbenprächtigen Bademantel gehüllt, der ihm drei Nummern zu groß war und jemandem mit blasser Haut auch nicht wirklich gut stand, aus dem Bad trat, war im Atrium niemand mehr zu sehen. Irgendwo klapperten Töpfe und ein Duft nach Essen zog durch den Flur.
Das Haus der Nkaris lag versteckt hinter einer Hecke aus Dornbüschen, sodass es vom Touristenbereich aus nicht zu sehen war. Und es war relativ großzügig gebaut – nicht so riesig wie die Wohnungen auf dem Mars, aber doch deutlich größer als eine übliche Stadtwohnung. So war es anscheinend kein Problem gewesen, sie in einem eigenen Zimmer unterzubringen; es war wohl eigens für Gäste vorgesehen. Was, wenn man bedachte, wie einsam und abgelegen die Nkaris hier draußen lebten, kein übertriebener Luxus war.
»Elinn schläft«, flüsterte Carl, als Urs die Tür öffnete.
»Okay. Willst du jetzt duschen?«
»Später.«
Das Zimmer lag in angenehm kühlem Halbdunkel. An der Decke drehte sich geräuschlos ein großer Ventilator und durch die Lamellen in den geschlossenen Fensterläden fielen schmale Streifen Licht herein. Ein Bett und ein Sofa standen in dem Raum. Auf dem Bett lag Elinn. Ihr Gesicht wirkte eingefallen, ihre Sommersprossen ausgebleicht und jeder Atemzug, den sie im Schlaf tat, sah aus wie eine enorme Anstrengung. Carl lag auf der Couch. Auch er sah regelrecht geplättet aus; man hatte fast den Eindruck, er sei kleiner geworden, seit sie auf der Erde waren.
»Du solltest trotzdem duschen«, meinte Urs. »Wenn man reinkommt, mieft es hier drin ganz schön.« Er ließ sich auf den Liegestuhl nieder, den Mr Nkari ihm hereingestellt hatte. Der genügte ihm; schließlich war er kein Marsianer, sondern ein Erdling. Und mit jeder Stunde, die verging, erinnerte sich sein Körper besser an diese Tatsache.
Carl sagte erst nichts, dann wuchtete er sich stöhnend in die Senkrechte. »Also gut. Bringen wir’s hinter uns.«
»Ich werde unterdessen fragen, ob ich ein paar Mails schreiben darf«, sagte Urs. »Damit sie zu Hause wissen, wo wir abgeblieben sind.«
»Ja«, sagte Carl und stand auf. »Mach das.«
Doch dann schlief Urs erst einmal ein, ohne es zu merken. Er fuhr erst wieder hoch, als die Tür aufgerissen wurde und ein Mädchen mit einem Bündel Klamotten über dem Arm hereingefegt kam. »Hi«, sagte sie. »Ich bin Amrita. Ich hab hier ein paar Sachen zum Anziehen für euch.«
Sie war bildhübsch, mein lieber Mann. Gertenschlank, mit großen, klaren Augen, die einen durchdringend anblickten; fast wie Röntgenapparate. Ihre Haare hatte sie zu winzigen Zöpfen geflochten, mit bunten Perlen darin.
Sie hatten alle drei geschlafen, auch Carl, dessen Rückkehr aus dem Bad Urs nicht mehr mitbekommen hatte, und waren nun alle drei zugleich hochgefahren. Doch Urs war als Erster auf den Beinen, sodass er dem Mädchen die Sachen abnehmen konnte. »Danke.«
Amrita musterte ihn neugierig. »Und ihr kommt wirklich vom Mars?« Ihr Blick ging einem durch und durch.
»Ja«, sagte Urs.
»Dad sagt, ihr seid durch eine Art Sprungtor gekommen. Wie bei Space Detective Hunter , als er die Archäoniten jagt.«
»So ungefähr.« Urs bemerkte, dass sie einen Cyberpin über dem Ohr trug, ein brandneues Modell. »He, du schaust auch Space Detective Hunter?«
»Nein«, entgegnete sie trocken. »Ich hab nur die eine Folge gesehen. Ist ‘n Scheiß.«
Urs musste schlucken. »Ach so. Schade. Ich finde die Serie nicht schlecht.«
»Ich kann mit meiner Zeit Besseres anfangen.« Sie hatte etwas ziemlich Herablassend-Schnippisches an sich, fand Urs.
»Was denn zum Beispiel?«, fragte er.
»Lesen, zum Beispiel.«
»Lesen?«
Sie verdrehte die Augen. »Du redest wie die in meiner Klasse. Lesen, ja. Das mit den Buchstaben und Wörtern und so weiter. Schon mal was davon gehört? Bücher? Bibliotheken? Textdatenbanken?«
»He, ich wollte nicht . . .«
Amrita stemmte die Hände in die Hüften und streckte das Kinn vor. »Hör zu. Ich werde mal in die Raumfahrt gehen. Die wirkliche Raumfahrt, nicht der Quatsch im Fernsehen. Wenn die erste Expedition zum Jupiter
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