Die steinernen Schatten - Das Marsprojekt ; 4
wenig in sich zusammen. »Außerdem kann ich nur dort leben. Wenn ich noch lange auf der Erde bleiben muss, werde ich sterben.«
Entsetzt sahen ihre Gastgeber sie an. Carls Erklärung, dass Elinns Lungenbläschen der Schwerkraft der Erde nicht lange standhalten würden, leuchtete allen rasch ein. Dass sie nicht umgehend zum Mars zurückfliegen konnten dagegen absolut nicht.
»Das hat mit der Stellung der Planeten zueinander zu tun«, sagte Carl. Sein Blick fiel auf die Tischdecke, die ein Muster aus konzentrischen Kreisen aufwies, in Rot, Braun und Gelb. »Ah«, meinte er, »das ist gut. Darf ich mal?«
Er langte nach einer der Schüsseln, doch sie war zu schwer für ihn. Urs, der im selben Moment begriff, was Carl vorhatte, half ihm.
»Also, das ist das Sonnensystem«, fuhr Carl fort, als die Mitte des Tisches freigeräumt war. Er deutete auf einen gelben Kreis. »Das ist die Erdbahn.« Er griff nach einem Trinkglas und stellte es an irgendeiner Stelle auf den Kreis. »Und das die Erde.« Er wiederholte das Spiel auf einem weiter außen gelegenen Kreis; ein zweites Wasserglas wurde zum Mars erklärt.
»Die Erde umrundet die Sonne in genau einem Jahr«, fuhr er fort und vollführte die entsprechende Bewegung, »der Mars dagegen braucht fast zwei Jahre dafür. Die beiden Planeten ändern ihre Position zueinander also ständig – mal sind sie dicht beisammen, mal weit voneinander entfernt.«
»Das habe ich jetzt verstanden«, sagte Mr Nkari und nickte gewichtig.
»Das heißt, die Planeten bewegen sich auf ihren Umlaufbahnen jeweils mit einer bestimmten Geschwindigkeit. Ein Raumschiff kann nun« – Carl griff nach dem Salzstreuer und funktionierte ihn zum Raumschiffsmodell um – »nicht einfach drauflosfliegen, auf den Planeten zu, zu dem es möchte. Das funktioniert so nicht. Was das Raumschiff macht, wenn es von der Erde startet, ist, dass es beschleunigt. Das heißt, es wird schneller als die Erde, und dadurch wird es auf eine Flugbahn nach außen getragen.« Er ließ den Salzstreuer einer ovalen, nach außen führenden Bahn folgen. »Während des Fluges bewegen sich die beiden Planeten natürlich auf ihren Bahnen weiter.« Er verschob auch die beiden Gläser schrittweise. »Und wenn das Raumschiff die Marsbahn erreicht«, fuhr er fort, »dann sollte sich der Mars ebenfalls an diesem Punkt befinden. Und nicht irgendwoanders.« Auf dem Tischtuch stand der Mars nun wenigstens dreißig Grad entfernt vom Eintrittspunkt des Raumschiffs.
Es war interessant, fiel Urs auf, wie Amrita Carl ansah während dieser kleinen Schulstunde in Raumfahrtmechanik. Jede Wette, dass sie den springenden Punkt längst kapiert hatte. Aber es gefiel ihr sichtlich, Carl zuzuhören.
»Hmm«, grübelte Mrs Nkari beim Anblick der gläsernen Planeten und des salzgefüllten Raumschiffs. Sie wirkte nicht so, als hätte sie verstanden.
»Er meint«, meldete sich ihre Tochter zu Wort, »es gibt Zeiten, in denen Erde und Mars so zueinander stehen, dass man den anderen Planeten einfach nicht treffen kann.«
Carl nickte. »Genau. Und so eine Phase hat vor Kurzem begonnen.« Er nahm den Salzstreuer in die Hand. »Das ist eine Frage der Beschleunigung. Whitehead Industries hatte eigentlich einen neuen Raumschifftyp mit verbessertem Fusionsantrieb angekündigt, der den Mars in nur einem Monat Flugzeit erreicht. Damit hätte man jetzt noch losfliegen können – wenn das Ding rechtzeitig fertig geworden wäre.«
»Whitehead Industries?«, hakte Mr Nkari nach. »Es gibt eine Stiftung namens Yules Whitehead Foundation , die hier in der Gegend viele archäologische Projekte unterstützt, unter anderem auch uns. Hat das was miteinander zu tun?«
»Soweit ich weiß . . .« Carl sah unsicher zu Urs hinüber.
Urs nickte. »Das ist derselbe.« Yules Whitehead hatte in jungen Jahren eine Erfindung gemacht, die den Bau von Fusionsreaktoren überhaupt erst ermöglichte, und war damit zum reichsten Mann der Welt geworden. Heute war er einer der bedeutendsten Industriellen – ihm gehörte unter anderem der größte Teil der privaten Raumfahrtindustrie – und zugleich der bekannteste Mäzen gemeinnütziger Projekte: Er hatte den weitaus größten Teil seines Vermögens an Stiftungen gegeben, die kulturelle und wissenschaftliche Projekte in aller Welt förderten.
Mrs Nkari verschränkte die Arme. Unruhig blickte sie in die Runde. »Aber was heißt das jetzt? Wie bekommen wir Elinn zurück zum Mars?«
Ihr Mann machte eine beschwichtigende Geste. »Ich
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