Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
trug ein eng geschnürtes Mieder aus weißer Spitze und mehrere bauschige weiße Unterröcke. Ihre honigblonden Haare fielen offen und lockig auf die bloßen Schultern, und sie wirkte sehr jung.
»O die vielen Leute!« rief sie. »Alle kommen sie zu mir! Mutter, sehen Sie doch!« Sie drehte sich mit einer lebhaften Bewegung um. »So viele Gäste.«
Lady Fairchild, die die beschwerliche Reise von Shadow’s Eyes nach Lavender Manor unternommen hatte, um die zweite Hochzeit ihrer Tochter mitzuerleben, sah sie mißbilligend an. »Wirklich, Cathleen, du solltest nicht so dicht an das Fenster heran gehen. Du hast ja fast nichts an!«
Cathleen errötete schuldbewußt. »Es tut mir leid, Mutter. Ich bin so aufgeregt. «
»Weshalb? Du kennst das alles doch schon!« Lady Fairchild sprach mit einer gewissen Schärfe. Es hatte sie persönlich gekränkt, daß ihr erster Schwiegersohn nur zwei Jahre nach der Hochzeit in einem ebenso aufsehenerregenden wie undurchsichtigen Mordanschlag ums Leben gekommen war und ausgeplündert an einem nebligen Herbstmorgen am Ufer der Themse gelegen hatte – wahrhaft eine Schande für den guten Namen der Fairchilds! In ihrer Familie wurde nicht gemordet, die Familienchronik wies keine derartigen Vorkommnisse auf. Im übrigen hatte Lady Fairchild es für unschicklich gehalten, daß Cathleen nach dem schrecklichen Unglück nicht in den Schoß der Familie zurückgeflohen war, sondern allein auf den Gütern ihres verstorbenen Mannes gelebt hatte, eine Tatsache, mit der ihre Mutter schon deshalb nicht fertig wurde, weil es nicht zu Cathleen paßte, selbständig zu werden. Bei aller Wachsamkeit nämlich hatte Lady Fairchild nie begriffen, wie groß der Einfluß von Anne Brisbane auf ihre Tochter war und wie sehr sie die junge Frau in ihrer Gewalt hatte. Für sie sah es so aus, als wolle Cathleen das Vermögen verprassen und ansonsten ihr Leben genießen; eine düstere Vorahnung, die sich, wie Lady Fairchild nun feststellen mußte, bewahrheitet hatte, denn nach einem ersten, etwas wirren Schreiben der Tochter war ein sehr höflicher und ehrerbietiger Sir Hadleigh auf Fernhill eingetroffen und hatte um die Hand der verwitweten Lady Cavendor angehalten.
Lord Fairchild stimmte natürlich zu, denn der Name Hadleigh war angesehen im Südosten Englands und stand für ein großes Vermögen und einigen politischen Einfluß. Lady Fairchild aber fand es nicht nur äußerst unfein, wenn eine Frau ihren Mann durch Mord verlor, es schockierte sie auch, wenn diese Frau dann ein zweites Mal heiratete. Es gehörte sich nicht. Eine Witwe zog sich zurück und trauerte still bis an ihr Lebensende, jedenfalls tat sie das in Lady Fairchilds Familie. Sie feierte keine zweite prunkvolle Hochzeit.
»Mutter, sehen Sie nur, da kommt Mary de Maurois! « rief Cathleen und trat schon wieder ans Fenster. Lady Fairchild runzelte die Stirn. »Wer ist Mary de Maurois?«
»Sie müssen sich doch an sie erinnern. Mary Askew! Sie kam als
ganz junges Küchenmädchen zu uns. Damals war sie zwölf oder dreizehn.«
»Was? Doch nicht die Kleine aus dem Armenhaus? Die Tochter von Ambrose und Lettice Askew?« Lady Fairchild eilte zum Fenster und sah neugierig hinunter auf den Vorplatz. Sie sah eine junge Frau, die gerade von ihrem Pferd stieg und in einer Woge aus blauer Seide, aus Rüschen und Perlen einen Augenblick stehenblieb. Ihre rotbraunen Haare glänzten in der Sonne und schlangen sich in dicken Flechten um ihren Kopf. Sie zuckte fast unmerklich zusammen, als eine andere, ganz in Schwarz gekleidete Frau auf sie zueilte.
»Lady Patricia Claybourgh«, erklärte Cathleen oben, »sie ist seit einem halben Jahr Witwe. Ihr Mann wurde nachts von Räubern überfallen und getötet. Man fand seinen erfrorenen Körper am nächsten Tag im Wald.«
Lady Fairchild wandte sich brüsk vom Fenster ab.
»Diese Dinge geschehen ein bißchen oft, findest du nicht?« fragte sie.
Cathleen sah sie offen an. »Es lauert viel Diebesgesindel an allen Wegesrändern. «
»Ja, offenbar.« Lady Fairchild haßte es, über Mord zu sprechen. Rasch fuhr sie fort: »Diese Mary Askew muß einen seltsamen Weg gegangen sein. Sie sieht aus wie eine reiche Frau.«
»Sie ist wohlhabend, und sie wird wohl einmal sehr reich sein. Im letzten Winter haben die Steuern sie fast umgebracht, aber sie hat sich recht gut erholt. Mit dem Verkauf von Wolle nach Flandern soll sie gerade wieder Höchstpreise erzielt haben.«
»So? Offenbar, ihr Kleid scheint ja recht teuer zu
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