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Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Titel: Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Gesicht, das ernster und melancholischer geworden war, in dessen Zügen aber noch immer Spuren des alten Spottes und der heiteren Gelassenheit vergangener Tage waren. Ich liebe ihn so sehr, dachte sie mit einem Anflug jener Verwunderung, die sie stets empfand, wenn sie heftige Gefühle in sich entdeckte. Auf Zehenspitzen verließ sie das Zimmer und schloß leise die Tür hinter sich. Die Anspannung der vergangenen Stunden fiel ab von ihr, plötzlich war sie sehr müde. Es war so viel geschehen heute. Aber alles trat hinter Nicolas zurück und wurde so blaß, als habe es sich vor vielen Wochen ereignet. Cathleens Hochzeit und Annes scheußlicher Auftritt, das Stimmengewirr der Gäste, die Musik und Sir Hadleighs wütendes Gesicht. Nichts davon blieb Wirklichkeit; von dem Augenblick an, da Mary Nicolas gegenübergetreten war, war seine Gegenwart zum einzigen wahren und greifbaren Bild dieses verworrenen Tages geworden.
    Aber dennoch – sie stand dort draußen im dämmerigen Gang, roch durch ein geöffnetes Fenster den Duft der Rosen und fragte sich, warum sie sich nicht freute. Nicolas kam zurück, er kam drei
Jahre früher als erwartet, aber in ihr war nicht das jubelnde Glück, das sie für den Tag seiner Rückkehr vorausgesehen hatte. Seine gleichgültige, müde Stimme hatte den Funken, der in ihr brannte, als sie die Treppe hinauflief, zum Erlöschen gebracht. Auf einmal fühlte sie sich kraftlos. Sie kauerte sich auf der obersten Treppenstufe nieder und zog die Beine eng an den Körper, als wolle sie sich wärmen; sie fröstelte trotz der warmen Luft draußen. In der Tasche ihres Kleides raschelte etwas, sie griff hinein. Der Brief! Charles Mackenzies Brief, den ihr Tallentire irgendwann vorhin in die Hand gedrückt und den sie kaum beachtet hatte. Langsam schoben sich die anderen Ereignisse des Tages klar in ihr Gedächtnis. Was hatte Tallentire gesagt: »Charles wird Marmalon für immer verlassen. « Sie entsann sich, daß sie es kaum zur Kenntnis genommen und nur gedacht hatte: Dieser dumme Mann! Muß er gerade jetzt solchen Unsinn machen, wo mir fast der Kopf platzt?
    Vorsichtig faltete sie das Papier auseinander. Charles hatte die Worte darauf hingeworfen, wie sie ihm gerade einfielen, er mußte in höchster Eile und Erregung geschrieben haben. Mühsam begann sie zu lesen.
    »Liebste«, stand dort, »meine liebe Mary, mir bleibt nicht viel Zeit, deshalb entschuldige, daß ich Dir nur eine kurze Nachricht hinterlasse. Gleich wird Tallentire nach Lavender Manor reiten, um Dich zu holen, und bis Ihr wiederkommt, werde ich fort sein. Ich habe nicht viel zu packen, außerdem braucht man beim Heer sowieso nicht viel. Ja, ich gehe zu den Soldaten. Es wird über kurz oder lang einen Krieg mit Frankreich geben, und sie können jeden Mann brauchen. Wenn der Krieg dann vorüber ist, kaufe ich von meinem Sold irgendwo ein kleines Stück Land und lasse Brenda und die Kinder nachkommen. Bis dahin sorge bitte für sie. Wenn mir etwas zustößt, müssen sie für immer in Marmalon bleiben, und hier spekuliere ich jetzt einfach auf Deine Unfähigkeit, jemanden, der Deine Hilfe braucht, vor die Tür zu setzen. Im Innern, Mary, bist Du die großherzigste und gütigste Frau, die ich kenne, und diesem guten Herzen wirst Du immer ausgeliefert sein.
    Nicolas de Maurois ist hier eingetroffen, völlig unerwartet, überraschend wohl auch für Dich. Ich stand ihm gegenüber, er schaute
mich an, und in diesem Moment gab ich auf. Solange er nur in meiner Vorstellung existierte, konnte ich ihn verachten und mir schwören, ihm das Leben schwerzumachen, sollte er wirklich einmal auftauchen. Jetzt habe ich ihn gesehen, und auf einmal weiß ich, was Ihr einander seid. Du bist alles für ihn, und er ist alles für Dich. Als er nach Dir fragte, als er Deinen Namen sagte, konnte ich spüren, daß er wahrscheinlich jeden umbringen würde, der sich zu nah an Dich heranwagt. Und ich begriff auch, daß ich mir etwas vorgemacht hatte. Die ganzen furchtbaren, langen Monate, die wir um Marmalon kämpften, haben Dich in Wahrheit ihm nähergebracht, nicht mir. Ich dachte, wenn nichts sonst, so sei es das Land, was uns verbindet, aber das stimmt nicht. Das Land verbindet Dich mit ihm, und wenn er Dich verließe, würdest Du das Land wegwerfen. Oder es behalten und soviel Geld herausholen, bis Du Dir ihn notfalls kaufen könntest.
    Ich habe Dich sehr geliebt, Mary, viel mehr, als Du wohl geahnt hast, und deshalb kann ich jetzt nicht still und bescheiden

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