Die stillen Wasser des Todes - Roman
dreißig Jahre lang im Polizeidienst, falls Sie das vergessen haben sollten.«
Das hatte Kincaid ganz bestimmt nicht vergessen. »Und deswegen sind Sie am Dienstagmorgen nicht erschienen?« Er hob missbilligend die Schultern. »Sie hätten ja auch anrufen und den Termin absagen können.«
Craig starrte ihn an, als hätte er vollkommen den Verstand verloren. »Superintendent, kritisieren Sie etwa meine Umgangsformen ? Atterton ist kaum besser als ein Hochstapler, und solche Höflichkeit hat er gar nicht verdient. Wenn Sie es unbedingt wissen wollen – ich hatte mich über mich selbst geärgert, weil ich auf ihn hereingefallen war, wenn auch nur ganz kurz.« Er stützte seine massigen Hände auf die Tischkante und schob seinen Stuhl zurück, wie um zu signalisieren, dass die Unterredung beendet war. »Und Sie sollten vielleicht lieber einen Mord aufklären, als mir hier die Zeit zu stehlen.«
Doch Kincaid wollte sich nicht so leicht abservieren lassen. »Wie ich höre, kannten Sie DCI Meredith sogar noch besser als ihren Exmann.« Das Pochen in seinen Schläfen steigerte sich zu einem Hämmern, und sein Puls schoss in die Höhe.
Er hatte gerade seinen Rubikon überschritten, und es gab kein Zurück mehr.
»Wovon reden Sie?«, sagte Craig leise. Er bemühte sich jetzt nicht mehr, seiner Stimme einen Anstrich von Höflichkeit zu verleihen.
»Ich spreche von der Tatsache, dass DCI Meredith Sie der Vergewaltigung beschuldigt hatte. Und dass Peter Gaskill, Meredith’ Vorgesetzter, sie dazu überredet hatte, keine Anzeige gegen Sie zu erstatten. Doch ihre Vereinbarung basierte auf seinem Versprechen ihr gegenüber, dass gegen Sie, Sir, innerhalb der Met Maßnahmen ergriffen würden.«
Alle Farbe war aus Craigs Gesicht gewichen. »Wie können Sie es wagen –«
»Aber das ist nicht passiert, nicht wahr?«, unterbrach ihn Kincaid, indem er sich vorbeugte und Craigs Blick standhielt. »Und erst vor wenigen Wochen erfuhr Rebecca Meredith, in welchem Ausmaß diese Versprechen gebrochen worden waren. Ich frage mich, womit sie gedroht hat und was Sie alles getan hätten, um sie zum Schweigen zu bringen.«
Craigs stämmiger Brustkorb weitete sich, als er tief Luft holte. »Diese Frau war absolut unzurechnungsfähig. Sie konnte von Glück sagen, dass sie wegen ihrer unhaltbaren Anschuldigungen nicht aus dem Polizeidienst entlassen wurde. Gaskill und ich haben ihr gegenüber eine Milde walten lassen, die sie nicht verdient hatte.«
»Oh, aber ganz so einfach ist es nicht, Sir .« Kincaid gab der Anrede eine spöttische Betonung. Er fand es plötzlich unerträglich warm im Zimmer und musste der Versuchung widerstehen, vom Feuer wegzurücken. »Rebecca Meredith wusste nämlich, wie die Dinge liefen«, sagte er. »Deswegen hatte sie, bevor sie sich an Gaskill wandte, einen Abstrich und eine DNS -Probe machen lassen. Sie gab zu Protokoll, dass der Täter unbekannt sei, doch die DNS -Probe wurde zu den Asservaten genommen. Gaskill wusste das. Sie wussten es auch. Die Frage ist, ob Rebecca Meredith beschlossen hatte, ihre eigene Karriere aufs Spiel zu setzen, indem sie diesen Beweis gegen Sie verwendete.«
Noch während er sprach, fragte Kincaid sich, ob diese Beweise immer noch existierten oder ob die belastende DNS -Probe gerade noch rechtzeitig auf unerklärliche Weise verschwunden war.
Doch Craigs nächste Worte sprachen dagegen. »Ich hatte Sex mit dieser Frau, das stimmt. Aber sie hat es darauf angelegt«, fügte er boshaft hinzu, »und nie und nimmer hätte die Schlampe das Gegenteil beweisen können.«
Kincaid hätte sich durch Craigs Eingeständnis wohl bestätigt fühlen sollen, doch in der Stimme des Mannes lag so viel Gehässigkeit, dass ihm übel wurde. Hätte Craig das Gleiche auch über Gemma gesagt, wenn sein Vergewaltigungsversuch nicht vereitelt worden wäre? Und über andere Frauen, deren einziges Vergehen darin bestand, dass sie ihm vertraut hatten?
»Peter Gaskill hat ihr einen Gefallen getan, als er sie dazu überredete, nicht vor aller Welt auszuposaunen, was für ein Flittchen sie war«, fuhr Craig fort. Er umfasste den großen gläsernen Briefbeschwerer auf seinem Schreibtisch mit der rechten Hand, spannte die Finger an und lockerte sie wieder. »Sie hätte ihre Karriere ruiniert und den Ruf der Met beschädigt.«
Kincaid konnte sich den Sarkasmus nicht verkneifen. »Während der Ihre ohne Makel geblieben wäre.«
»Sie werden allmählich unverschämt, und ich habe endgültig genug von diesem
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