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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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seine Hände, die mit einem Schmutz bedeckt waren, der, nach seiner Lehre, eigentlich nur den Wert eines Traums haben durfte – aber irgendwie kam ihm das alles gar nicht in den Sinn.
    Als Kind hatte ich ernsthaft geglaubt, es gäbe eine Kategorie vollkommener Menschen, der vor allem die Wissenschaftler angehörten, die glanzvollsten unter ihnen aber müßten die Universitätsprofessoren sein: Die Wirklichkeit hat mich gezwungen, auf derlei ideale Überzeugungen zu verzichten.
    Obwohl ich Donald seit zwanzig Jahren kannte, konnte ich dennoch nichts dagegen tun, daß er wahrhaftig jenen Gelehrtentyp verkörperte, an welchen nur höchst anachronistisch exaltierte Leute zu glauben bereit sind. Baloyne, ebenfalls ein bedeutender Kopf, aber auch ein Sünder, hatte, ich entsinne mich, Donald einmal inständig gebeten, er möge uns doch, um mit uns gleichzuziehen, wenigstens ab und zu oder auch nur ein einziges Mal irgendein häßliches Geheimnis von sich verraten oder, wenn es denn gar nicht anders ginge, eine Gemeinheit begehen, die ihn in unseren Augen menschlicher erscheinen ließe. Doch Donald lächelte nur hinter seiner Pfeife.
    An diesem Abend, als wir durch ein kleines Tal zwischen den Dünenhängen wanderten, im roten Licht der untergehenden Sonne, und ich die Projektion unserer Schatten auf dem Sand beobachtete, von dessen Körnern, wie auf den Bildern der Impressionisten, ein violetter Schein auszugehen schien wie von mikroskopisch kleinen Gasflämmchen, begann mir Prothero von seiner Arbeit an den »kalten« Kernreaktionen des »Froschlaichs« zu erzählen. Ich hörte ihm mehr aus Höflichkeit zu und wunderte mich, als er sagte, unsere Situation erinnere ihn an die beim »Manhattanprojekt«.
    »Selbst wenn sich eine Kettenreaktion im ›Froschlaich‹ im großen Maßstab auslösen läßt«, warf ich ein, »so ist die Wirkung von Wasserstoffbomben ja ohnehin technisch unbegrenzt, also droht uns doch wohl nichts von dieser Seite.«
    Da steckte er die Pfeife weg. Das war ein wichtiges Zeichen. Er suchte aus seiner Tasche eine Filmrolle hervor und gab sie mir aufgewickelt. Als Lichtquelle diente uns die rote aufgedunsene Sonnenscheibe. Ich kannte mich soweit in der Mikrophysik aus, um eine Serie von Track-Aufnahmen aus einer kleinen Blasenkammer zu erkennen. Donald stand dicht neben mir und zeigte mir in aller Ruhe mehrere eigentümliche Stellen. Ganz in der Mitte der Kammer befand sich ein winziges, stecknadelkopfgroßes Klümpchen »Froschlaich«, und der Stern der Splitterbahnen seines auseinandergesprengten Kerns war daneben zu sehen – etwa einen Millimeter außerhalb des Schleimtröpfchenrandes. Ich konnte darin nichts Besonderes entdecken, doch es folgten Erläuterungen und weitere Aufnahmen. Darauf ging etwas Unmögliches vor sich: Selbst wenn das Tröpfchen von allen Seiten von der Bleischale umgeben war, erschienen die Sternchen der berstenden Atome in der Kammer außerhalb des Panzers!
    »Es ist eine Reaktion mit Fernwirkung«, schlußfolgerte Prothero. »Die Energie verschwindet an der einen Stelle,zusammen mit dem auseinanderfliegenden Atom, das an anderer Stelle wieder auftaucht. Hast du mal gesehen, wie ein Zauberkünstler ein Ei in die Tasche steckt und es aus dem Mund wieder hervorholt? Das ist das gleiche.«
    »Aber das ist doch ein Trick!« Noch immer konnte, wollte ich nicht verstehen. »Die Atome sollen während ihres Zerfalls durch die Schutzhülle springen?« fragte ich.
    »Nein. Sie verschwinden ganz einfach an der einen Stelle und tauchen an einer anderen wieder auf.«
    »Das steht aber doch im Widerspruch zum Erhaltungssatz!«
    »Nicht unbedingt, denn sie tun das sehr rasch: Hier fliegt es hinein, dort fliegt es hinaus, verstehst du. Die Bilanz bleibt unverändert. Und weißt du auch, was sie auf so wunderbare Weise transportiert? Ein Neutrinofeld. Und das ist mit der Originalstrahlung moduliert – sozusagen ein ›göttlicher Wind‹.«
    Ich wußte, daß solch ein Effekt nicht möglich war, aber ich glaubte Donald. Wenn überhaupt jemand in unserer Hemisphäre etwas von Kernreaktionen verstand, dann er. Ich erkundigte mich nach der Reichweite des Effekts. Offenbar regten sich, obwohl ich mir dessen noch nicht bewußt war, bereits schlimme Gedanken in mir.
    »Ich weiß nicht, wie groß er sein kann. Jedenfalls ist er nicht kleiner als der Durchmesser meiner Kammer – zweieinhalb Zoll. Ich habe das auch im Wilson gemacht – zehn Zoll.«
    »Kannst du die Reaktionen kontrollieren? Das

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