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Die Straße - Roman

Die Straße - Roman

Titel: Die Straße - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Charles Bronson oder solchen Schauspielern, die ich allesamt aus dem Fernsehen kannte. Das waren Leute, die, nachdem irgendein Unrecht geschehen war, alseinsame Rächer herumzogen und alles niedermähten. Zu diesen Abenteuer-Mord-Brutal-Filmen gehörten auch solche, die im weitesten Sinne etwas mit Krieg oder Soldaten zu tun hatten, bisweilen auch mit dem orgiastischen, blutigen Rom und massenhaft abgeschlagenen Körperteilen. Die andere Kategorie betraf Filme, auf deren Plakaten stets Frauen zu sehen waren, worüber ich mir die längste Zeit überhaupt keine Gedanken machte. Ich nahm es einfach hin bzw. achtete nicht weiter darauf, so wie ich ja auch die ersten elf, zwölf Jahre meines Lebens nie darüber nachdachte, warum Menschen um mich herum rauchten oder Alkohol tranken. Es hatte nichts mit mir zu tun.
    Ich saß in dem Plüschsessel, der sehr weich war, hatte eine Schachtel Eispralinen in der Hand und sah also den Vorhang aufgehen. Ich sog damals Filme geradezu in mich hinein, schon der Vorspann mit seiner grauenhaft kitschigen Musik war mir bei Alice im Wunderland wie eine atmosphärische Verheißung des Kommenden, wie etwas, in dem schon alles Folgende enthalten war. Ich schaute sämtliche Filme vom Beginn des Vorspanns und blieb, meinem Ordnungs- und Vollständigkeitswahn folgend, bis zum letzten Wort und dem letzten Ton des Abspanns sitzen, und das Wiederangehen des Saallichts löste in mir jedesmal eine kleine Empörung aus.
    An einem der folgenden Tage war in meiner Schule ein Wandertag angesetzt. Wir versammelten uns alle mit Rucksäcken und Tornistern, vollgepackt mit Broten und Feldflaschen etc., und liefen zum Steinernen Kreuz, einem kleinen Denkmal mitten im Feld zwischen Friedberg und Ockstadt. Es war sommerlich warm, der Weizen wogte auf den Feldern, der Himmel hatte sein Wetterauer Blau, im Hintergrund lag der Taunus als Sichtbegrenzung, und die Kinder schrien und kreischten eine Weile, bis eine gewisse Erschöpfungsruhe eintrat. Ich hatte in meinem Kopf immer noch den Alice-im-Wunderland-Film. Ich war noch ganz in der Alice-Welt gefangen, gemeinsam mit ihr, dem Mädchen selbst, und konnte mir in meinen Gedanken nach wie vor diese Welt errichten, die Wunderwelt, auch während des Wandertags. Ich lief damals oft so durch die Gegend, daß ich mir Dinge selbst erzählte oder mir Bilder vorstellte oder vor mich hin sprach, wodurch ich nicht selten einen leicht abwesenden Eindruck machte.
    Ich weiß nicht mehr, wie das nun folgende Gespräch über Alice im Wunderland auf meinem Wandertag begann, ob mich jemand fragte: Was hast du denn gestern gemacht?; oder: Warst du im Kino in Alice im Wunderland?; oder: Hast du einen Film gesehen in letzter Zeit? Ich saß da, auf einem Baumstumpf, schaute unter mich auf die braune Wetterauer Erde, in der sich nichts spiegelte (im Gegensatz zu dem englischen Teich, in den Alice hineinschaut),und wünschte mir, es möchten ebensolche Figuren wie aus dem Film erscheinen und am liebsten Alice selbst, mit der ich dann hätte reden oder herumlaufen können, und möglicherweise hätten wir beide uns an den Händen gehalten, uns gegenseitig ineinander vergraben und nichts mehr von der Welt um uns herum und diesem Wandertag mitbekommen. Ich sah den grünen Rasen und die Wiesenblumen des Films vor mir, die aufgeräumte Landschaft, die malerischen Wolken – oder war der Himmel klar? Ich weiß es nicht mehr. Es war ein Idyll. Ein Idyll mit einem Mädchen: Alice.
    Vielleicht fragte mich dort am Steinernen Kreuz auch jemand: Hast du ein Mädchen besonders gern? Ob es jener Junge namens Göttlich war, kann ich nicht sagen. Oder auch: Denkst du gerade an ein Mädchen?
    Ich zog mit einem Stöckchen Kreise in die Wetterauer Feldwegerde und könnte, unvorsichtig wie ich war, auf die letzte Frage geantwortet haben: An Alice denke ich. An Alice im Wunderland.
    Die aus dem Film?
    Ja, ich habe den Film gesehen.
    Und er hat dir gefallen?
    Ja. Ich habe zwar die ganzen Abenteuer nicht so gemocht, aber eigentlich träumt sie ja alles nur, und eigentlich spielt alles bloß an einem Teich, in den sie hineinschaut.
    Also magst du dieses Mädchen.
    Es ist eine Zeichentrickfigur.
    Aber du magst sie?
    Der, der da sprach, muß der Teufel selbst gewesen sein. Vielleicht war es wirklich wieder jener Göttlich.
    Wenn du sie süß findest – süß, das Wort hast du doch eben gesagt –, dann magst du sie, und Alice ist also das Mädchen, das du derzeit am liebsten hast. Und was würdest du gern mit ihr

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