Die Straße - Roman
Hauseingang herum hatten sie sich auf der Gasse so etwas wie die Andeutung eines Gartens errichtet, dort stand zum Beispiel ein kleines Bänkchen, und Blumentöpfe hingen in Ampeln von der Wand, mit Geranien oder dergleichen darin. Sie hatten einen Hang zu Topfpflanzen, aber obwohl diese Pflanzen doch einen gewissen Eindruck von Frische hätten vermitteln können und einige sogar Blütenduft verbreiteten, roch alles auf jene ganz bestimmte Weise abgestanden, eigentlich wie die ganze Friedberger Altstadt. Aus den Haustüren roch es so, das Holz der Türen selbst roch so, auch die Geranien schienen so zu riechen, und vor allem roch der betreffende Mann so, wenn er aus der Haustür trat, und auch sämtliche Kleidung an ihm bis zum kleinen Hut roch so, und wenn ein Hund mit ihm herauskam, roch er ebenfalls auf dieselbe Weise. Ich weiß noch, daß ich den Sitz dieser ganz bestimmten Art von Hosen (es waren immer abgesessene Stoffhosen mit Bundfalten) seltsam fand, sie hatten etwas Ausgebeultes, als sei da noch etwas drunter, das ich mir nicht vorstellen konnte. Etwas, das ebenfalls abgestanden war und wahrscheinlich ebenso roch wie alles andere, oder noch übler. Ich verband mit diesem Geruch immer jene Altmännerhosen.
Was ich bis heute bemerkenswert finde, ist, daß die Gassen, auf die alle diese Männer traten, überall voller Fenster waren, der Fenster der anderen Häuser. Die Fenster in diesen engen Gassen ergaben ein Spiegelkabinett, in dem sich alles hin und her reflektierte, fratzenhaft in dieser ganzen heruntergekommenen Altstadtwinkelromantik. Alle konnten dort oben alles sehen, von Fenster zu Fenster, tausend Blicke gingen hin und her wie die Fäden eines Spinnennetzes in diesen alten Gassen in Friedberg in der Wetterau Mitte der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Es war eine Altstadt wie aus einem Weihnachtskalender und zugleich einem Fritz-Lang-Film. Den ganzen Vormittag hatten sie am Fenster ihres Häuschens herumgesessen und in ihrer Wetterauer Sehnsucht hinaus in die Vormittagsleerheit und auf die Altstadtgassen gestarrt. Und wenn dann die Kinder (wir) kamen, setzten sie sich langsam und bedächtig zum genau richtigen Zeitpunkt in Bewegung, ganz automatisch.
Die Frauen wußten Bescheid, auch wenn sie die Neigung ihrer Männer gemeinhin nicht teilten, die bei diesen ja ohnehin erst mit der Zeit gewachsen war, von Jahr zu Jahr mehr, wie der Bauch. Die Männer wurden immer älter und ihre Bäuche immer unförmiger und ihr Atem und ihre Verdauung immer schlechter, aber die Menschen in ihrem Kopf wurden immer jünger und reiner und waren am Ende Knaben bzw. Buben wie wir (diese Generation der alten Männer sagte noch nicht Jungs , auch unsere Schultoilette hieß ja noch Bubenklo) und ihrer Vorstellung nach wahrscheinlich gerade frisch gebadet.
Neben den heraustretenden Männern standen die alten Frauen mißmutig im Türrahmen, meistens in Kittelschürzen, und wußten, was gerade wieder einmal los war. Sie verschwanden dann aber im Regelfall schnell wieder oder wurden, wenn sie nicht verschwanden, von ihren Männern angeherrscht. Manchmal, wenn einer von uns schon drin im Häuschen war, standen die Frauen dann in der Zimmertür, und mitunter begannen sie dann zu denMännern irgend etwas zu sagen. Was willst du denn wieder mit ihm? Dann sagte der Mann, mehr zum Kind als zur Frau, es könne doch seine Jacke ablegen, heute sei doch so warm.
Alle diese Friedberger, die aus ihren Altstadthäusern auf einen zutraten, sprachen auf eine sehr seltsame Weise, sie waren überaus freundlich und wollten einem meistens irgend etwas anbieten. Sie fragten sehr interessiert nach irgendwelchen Dingen, und wann immer man etwas zur Antwort gab, schienen sie überaus verständnisvoll und fragten gleich weiter. Die einen von uns spielten ihre Spiele mit ihnen und wußten genau, was gerade vor sich ging, die anderen hatten keinerlei Gegenwehr und verloren schnell den Überblick. Mich betäubte immer nur überall dieser abgestandene Geruch, der, kaum war man über die Schwelle des Hauseingangs, noch eindringlicher wurde, und auch der Mann begann anscheinend noch stärker zu riechen, und man sah nun auch die Einrichtungsgegenstände. Die Einrichtungsgegenstände in diesen Altstadthäuschen waren ebenfalls einem Hexenhausmärchen entnommen. Sie waren bunt und zugleich farblos, und sie schienen allesamt zu klein zu sein, vor allem wirkten sie einerseits völlig idyllisch und andererseits wie leblos, als seien alle Einwohner des
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