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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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dem Major Melzer muß man es sagen. Und zwar mußt du das tun, René.«
»Nein«, sagte er entschieden, ruhig und klar.
»Warum nicht?!« fragte die Pichler lebhaft. »Der ist doch kein solches Waserl wie die Thea?!«
»Nicht wegen – seiner Natur«, antwortete Stangeler. Dann schwieg er. Und blieb weiterhin strikte bei seiner Ablehnung, Melzern irgendeine Mitteilung von dem Doppel-Phänomen (von der diesbezüglichen Duplizität) zu machen.
»Warum willst du, daß ich Melzer davon sage?« fragte er.
»Das ist klar. Die Thea weiß zwar nicht, was sie red't, aber soviel hab' ich schon heraußen, daß dieser Major wegen der Frau Schlinger irgendwie unglücklich ist. Der wird weniger unglücklich sein, wenn er weiß, daß es die zweimal gibt. Außerdem muß die Thea von diesem Rittmeister loskommen. Der ist doch nichts für sie. In Wirklichkeit liebt sie den Major. Ich weiß es jetzt bestimmt. Seit Montag. Und er wahrscheinlich sie.«
Ihm war wie einem Menschen etwa, dem was heruntergefallen ist und der, jenen Kragenknopf oder Bleistift nun am Boden suchend, von dem Zimmer, in welchem er wohnt, eine ganz neue Perspektive sieht: die Platte des Schreibtisches von unten her, wie einen Plafond, die Bettfüße von seitwärts, groß und nah; und gar erst, wenn er etwa noch ein Licht dabei hält: es verkehrt die Schatten, wirft das Unterste, kaum je Gesehene, nach oben, Stuhlbeine, als klappten sie über dem Sitz zusammen, und den boden-nahen Sockel des Kachelofens herausleuchtend, daß er in's Auge springt. Solchermaßen trat Paula jetzt mit Ansichten und Absichten, von außen her und aus einer neuen Pachtung kommend, an den kleinen Kreis von Menschen heran, darin er lebte, als in seiner Grundbefangenheit, dieser Tropidonotus-Indianer und Siebenschein-Kirgise, der dementsprechend von dem nächsten rund um ihn her herzlich wenig wahrgenommen hatte.
»Und warum willst du, daß Melzer nichts von der Sache erfährt?« fragte Paula noch.
»O nein« – wehrte René dies Mißverständliche ab. »Ich habe garnichts dagegen, wenn er Kenntnis davon erhält, daß es diese Frau Schlinger sozusagen doppelt gibt. Aber von mir soll er diese Kenntnis nicht haben. Von mir nicht.«
Das war der Punkt, wo Paula endlich ganz aus dem Oberwasser geriet. Denn hier spürte sie ein ihr nicht Verständliches, aber doch Vorhandenes; keine bloße Grille oder Laune: hier war etwas. Es ging ihr in ähnlicher Weise über den Verstand wie die Unzerstörbarkeit und Unstörbarkeit seiner Liebe zu ihr, ihrer Liebe zu ihm.
»Es kommt nichts dabei heraus, sonst«, setzte er fort. »Es soll aber etwas herauskommen. Und ich will es sehen. Wenn ich mich hineinmische und was dazu tue: dann sehe ich gar nichts.«
Sie schien das ohne weiteres zu respektieren (immerhin bemerkenswert). Nach einer Weile, während welcher sie in den am Tische liegenden Zeitungen herumgeblättert hatten, äußerte Paula den Wunsch, Melzern kennenzulernen. »Ich will euch einladen«, sagte sie (und beschrieb kurz das Gärtchen in Liechtenthal). »Dich, die Thea und den Major. Wie machen wir das am besten? Willst du's ihm sagen? Und die Thea soll's ihm auch sagen. Mein Mann wird auch dabei sein, der Lois. Den kennst du noch nicht, aber er dich längst, weil ich ihm von dir erzählt habe.«
»Ja«, sagte Stangeler (und Paula erschien ihm jetzt beneidenswert klug und selbständig, überaus erwachsen). »Das ist wirklich gut. Ein ausgezeichneter Einfall. So – überraschend. Ja. So will es gehen. So muß es auch gehen …« Die letzten Worte sagte er vor sich hin, als redete er nur mit sich selbst. Er blickte auf den Platz hinaus, wo Straßenbahnzüge und Wagen sich durcheinander drehten. »Alles ist nah«, sagte er, »auch das Haus ›Zum blauen Einhorn‹, vor welchem wir uns kennen gelernt haben, Paula.«
»Ja«, sagte sie, »und wir sind auch noch nah beieinander, Gott sei Dank.« Sie legte ihre Hand mit leichtem Druck auf die seine, welche neben ihr auf dem roten Samte der Sitzbank ruhte.
    Auch hierher, in jenes ›Café Brioni‹ zu Paula, war Stangeler über die Strudlhofstiege gegangen und nach ähnlicher Vorbereitung wie anläßlich seines ersten Besuches bei Frau Editha Schlinger: tiefgekühlt, wenn man so sagen darf – allerdings hatte inzwischen die Hitze des Spät-Sommers nachgelassen – und in den runden Duft des Lavendel eingeschlossen. Auf den Stiegen tiefes Schweigen. Die Ästchen reglos hoch und fern vor dem Himmel. Auch in der Liechtensteinstraße war es still gewesen und

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