Die Stunde der Hexen - Midnight Hour 4 - Roman
Oder ob er einfach ein Risiko einging in der Hoffnung, es könnte vielleicht doch funktionieren.
Er packte mich am Handgelenk und zerrte heftig. Ich flog von der Wand und ins Freie - zwischen ihn und die Polizisten.
Eine Waffe wurde abgefeuert.
Ein Hieb traf mich in den Rücken. Ich machte einen Schritt vorwärts, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Dann wieder Feuer. Heftiger Schmerz in meiner Brust ließ mich zu Boden sinken. Als wäre etwas in meinem Innern explodiert. Meine Knie schlugen auf dem Gehsteig auf.
Carl rannte um die Ecke und verschwand, geschützt durch seinen Schild.
»Sawyer, nicht schießen, nicht schießen!« Das war Hardin. Sie klang böse.
Einen Augenblick blieb die Welt stehen. Ich nahm nichts um mich herum wahr, ich konnte nichts außer meinem Blut in meinen Ohren hören.
Ich atmete rasch, ohne jedoch Sauerstoff zu bekommen. Meine Hände waren voller Blut - das auch, seidig glänzend und rot, meine ganze Brust bedeckte, mein Hemd durchtränkte.
Getroffen, ich war von einer Kugel getroffen worden. Mein nächster Atemzug ging ächzend. Ich sollte etwas tun, dachte ich verschwommen. Eigentlich sollte ich schreien oder weinen oder so. Ich sollte hinfallen und längst tot sein.
Doch ich hielt mich auf den Knien und starrte mein eigenes Blut an meinen Händen an, als sei es Teil eines Films. Bloß Make-up oder Ketchup oder so. Meine Atmung verlangsamte sich, und der frische Sauerstoff führte dazu, dass sich meine Gedanken klärten. Und mir wurde bewusst, dass der explosionsartige Schmerz längst nicht mehr so stark war.
Ich zog meinen Kragen hinunter, wischte Blut fort, versuchte das Einschussloch zu finden - die Kugel war zwischen meinem Herzen und meinem Schlüsselbein völlig durchgeschlagen. Da war die Wunde, von verkrustetem Blut bedeckt. Bereits geronnen. Es heilte schon.
Jemand berührte mein Gesicht mit den Händen und zwang mich, aufzublicken. Überrascht zuckte ich zusammen, weil ich gar nicht bemerkt hatte, dass jemand bei mir war. Ben hielt mein Gesicht und musterte mich mit
einem wilden Blick. Sein Herz hämmerte rasend schnell. Ich konnte es hören.
»Kitty«, sagte er mit rauer Stimme.
Ich sackte in mich zusammen, hielt mich an seinen Armen fest, um aufrecht zu bleiben. Jeder einzelne Muskel war zu Melasse geworden. Mein Lachen klang mehr wie ein Aufkeuchen. »Es war kein Silber.«
Er brach ebenfalls zusammen. Wir liefen Gefahr, dahinzuschmelzen und im Boden zu versickern. »Kein Silber.«
Ich nickte rasch, und er drückte sein Gesicht an das meine. »O mein Gott«, seufzte er dicht an meinem Ohr, dann küsste er mich auf die Wange. Ich klammerte mich an ihn.
Hardin stieß barsch eine Frage hervor. »Officer Sawyer - Sie haben kein Silber bei sich?«
»Ähm … nein, Ma’am. Hatte keine Zeit, das Bestellformular auszufüllen.« Er klang verlegen.
Gott sei Dank. Danke, danke, danke …
»Das nächste Mal besorgen Sie sich gefälligst diese Kugeln. Und schießen Sie verdammt noch mal nicht auf die Informantin!«
Die Sache war noch nicht vorbei. Ich spürte einen neuen Schmerz - nicht von der Wunde, die verblasst war. Etwas anderes zerfleischte mir die Eingeweide. Die Wölfin. Wir waren angegriffen worden. Man hatte uns verletzt. Jetzt lag es an ihr, uns zu beschützen. Sie schoss durch mein Blut, übernahm meine Augen, meine Sinne. Ich verspannte mich am ganzen Körper, während sie die Kontrolle übernahm.
»Ben.« Meine Stimme klang rau durch zusammengebissene Zähne. Ich stand im Begriff, mich zu verwandeln; es passierte so schnell.
Er wusste, was vor sich ging. Sofort zog er mich an sich, hielt mich fest umarmt und zischte mir ins Ohr: »Reiß dich zusammen. Tief einatmen, Kitty. Halt es zurück.«
Meine Haut glitt dahin, meine Knochen schmolzen, ich schlug auf meine Kleidung ein, musste sie ausziehen, musste wegkommen …
»Hardin, bringen Sie Ihre Leute von hier fort!«, rief Ben. Letztlich fügte er sich dem, was ohnehin geschah; er riss mir das Hemd vom Leib und zerrte an meinem BH.
Ich wand mich aus Bens Griff und schrie auf.
Verwirrt, wütend. Kann nicht richtig sehen. Brust tut weh - verletzt. Nicht lange, es heilt schon, aber die Schmerzen sind noch zu spüren. Der Zorn ebenfalls.
Sie tritt nach den Seilen, die sie gefangen halten, in denen sich ihre Beine verheddern - Überbleibsel der alten Gestalt. Sie hatte sich dieser falschen Haut nicht rechtzeitig entledigt. Es ist so schnell über sie gekommen, so unerwartet. Doch sie schwebt
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