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Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Totenklage – sie wollten ihn tatsächlich einfach gehen lassen?
    Tiefe Ruhe überkam Christina. Vielleicht gerade weil der culdee so dicht hinter ihr war und alles abschirmte, was stören konnte. Sie betrachtete ihre Hände. Schon lange hatte sie sie nicht mehr um Hilfe gebeten, es hatte keinen Bedarf gegeben, und ein bisschen unheimlich war es ihr auch, weil es hier um mehr ging, als Schmerzen zu lindern. Der Vogel, mit dem sie so oft herumgespielt hatte, würde hier nicht ausreichen. Aber wenn sie sich im Schutz des Mönchs auf die Hände konzentrierte, wenn sie ihren Geist ganz in die Hände versenkte, wenn sie es schaffte, so wie früher …
    »Mädchen – tu’s nicht«, warnte Katalin von hinten. »Lass es – lass uns gehen, der Mann wird sterben. Lass ihn zu Gott gehen, wenn das sein vorherbestimmter Weg ist. Hörst du mich, Mädchen? Hörst du mich, Stina?« Sie wechselte in die ungarische Sprache, ihre Worte wurden eindringlicher, doch Christina war schon auf dem Weg …
    Nial spürte sofort die Hitze, welche die Angelsächsin erfasste und die durch alle Kleiderschichten bis an seine Haut drang. Christina war anders als alle Frauen, die ihm jemals begegnet waren. Sie war gesegnet. Gott liebte diese Frau. Er kannte sich damit aus, hatte viel gesehen in den Jahren der geistlichen Armut. Auch als sie zu schwanken begann und ihre Amme damit ängstigte, blieb er ruhig. Das, was da Besitz von ihr ergriff, war gut, er fühlte weder Furcht noch Besorgnis, weil er dort, wo sie nun hinging, auch schon gewesen war, damals, als er bei Gott die Heilung seiner Seele gesucht hatte. Er war nicht aus Berufung zu den culdees gegangen, doch nachdem er die Kutte übergestreift hatte, war ihm ein wenig von Gottes Gnade zuteilgeworden, und er hatte Gefallen an der Kontemplation gefunden. Diese Frau wusste von alldem nichts – sie wusste nicht, wie sehr man den Weg in die Versenkung suchen musste und wie viele Tränen das kostete, weil man ihn nicht immer fand. Sie war gesegnet. Sie ging ihn einfach.
    Sie versank immer tiefer in der Ekstase, ihr Gesicht veränderte sich, wurde bleich, schmal, durchscheinend, ihre Augen verschwanden unter seidigen Schatten. Die Frauen, die bis eben noch für das Seelenheil des Sterbenden gebetet hatten, wichen zurück. »Teufel«, flüsterte die eine, die andere bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen. Immer mehr Pilger kamen angeschlichen, um zu sehen, was sich da zutrug, und das Geraune wurde lauter.
    Nial schützte die Angelsächsin nun mit seinem Körper. Sie hockte gegen seine Knie gelehnt, und er schüttelte abwehrend den Kopf. »Lasst sie«, sagte er. Was mit ihr passierte, war gut, doch, das fühlte er. Gott war mit ihr, dieser wunderbaren, wunderschönen Frau …
    » Táltos «, murmelte die Alte, die Christina begleitete. Ihre Hände fingerten in dem schmalen Gesicht herum, als könnten sie die junge Frau zurückholen. Nial wusste, dass das unmöglich war. Sie flog, und Gott war bei ihr und gab auf sie acht. Sanft zog er die Hände der Alten von ihr weg und drängte sie fort. »Lasst sie gewähren«, flüsterte er.
    Christina kauerte dicht am Boden. Wie ein Grashalm im Wind wehte sie hin und her, und nur die Wärme, die von ihr ausging, schien sie am Boden zu halten. Er spürte die Wärme und den Zustand der Auflösung, in dem sie sich befand. Sie streckte die Hand aus und legte sie auf den Kopf des Sterbenden. Dann bewegte sich lange Zeit nichts. Der Schotte lag regungslos. Christinas Körper hatte seinen Ruhepunkt gefunden. Sie saß – und saß ganz still, mit der Hand auf seinem Kopf. Nur der Wind zauste ihr Haar und zupfte fragend an ihren Kleidern …
    Niemand wagte ein Wort. Alle starrten sie die Frau an, die eine fremde Macht so verändert hatte, dass man sie kaum wiedererkannte.
    Ihre Wärme wich. Nials Herz begann zu klopfen. Er spürte, wie sie kalt wurde, wie ihre Kraft schwand und vielleicht nicht mehr für sie selber reichen würde. Als sie fiel, war er da und fing sie auf, und er hielt sie fester, als es eigentlich nötig gewesen wäre. Einzig der Alten fiel das auf, sie zischte Böses, doch das kümmerte ihn nicht. Für ihn zählte nur Christina, weiter nichts. Sie rührte sich nicht, doch sie atmete.
    »Seht doch – da!«, schrie eine der Frauen auf. Mit erhobenen Händen sank sie in den Sand und stammelte: »Halleluja! Gepriesen sei der Herr!« – der Fiebernde hatte die Augen aufgeschlagen und blickte verwundert um sich.
    »Ist sie eine Heilige?«, fragte das

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