Die Stunde der toten Augen
brachte die Kraft auf, sich mit dem weißen Stoff des Tarnumhanges das Blut aus den Augen zu wischen, während er weiterlief. Und dann hörte er, wie der Motor des Panzers aufheulte und die Ketten wieder zu klirren begannen.
Es waren viele Ketten, Bindig hörte sie Er wußte, daß sie jetzt alle, einer nach dem anderen, dort zwischen den Bäumen hervorkriechen würden. In fünf Sekunden oder etwas mehr konnten sie an der Abzweigung des Waldweges sein.
Bindig sah an der linken Seite des Weges plötzlich eine lichte Stelle zwischen den Fichten. Weiter vorn prasselte das Feuer, dort, wo die brennenden Fahrzeuge standen. Bindig nahm Anlauf und sprang mit einem Satz zwischen die Fichten links des Weges. Er taumelte weiter, in das Gewirr der verfilzten Äste hinein. Nach ein paar Dutzend Schritten fiel er auf das Gesicht und blieb liegen. Er atmete keuchend, und zu dem bohrenden Schmerz im Kopf kam das Blut, das in den Augen brannte. Er wischte es wieder ab, aber es half nichts. Da erinnerte er sich des Verbandpäckchens. Er tastete sich mit der Hand dorthin, wo es verstaut war, und riß es mit klammen Fingern auf. Er konnte die Wunde nicht genau fühlen, aber er fühlte das klebrige Blut und einen zentimeterlangen Riß in der Haut. Mit großer Anstrengung gelang es ihm, den Mull in die richtige Lage zu bringen und die Enden der Binde am Hinterkopf zusammenzuknoten. Der Schmerz, das dumpfe Bohren, ließ nicht nach. Bindig zog das Blechröhrchen mit den Schmerztabletten aus der Hose. Er ließ, ohne zu zählen, ein paar von den kleinen weißen Pillen in die blutige Handfläche fallen und führte sie zum Mund. Als er die schwache Bitterkeit der Tabletten empfand, stopfte er schnell eine Handvoll Schnee hinterher.
Da bremste der erste Panzer vor der Mündung des Waldweges und schwenkte auf einer Kette herum. Aus seiner Kanone fuhr ein langer Blitz, und das Geschoß schlug irgendwo, weit hinten, in der Nähe der Flammen auf dem Holzplatz ein. Dann fuhr er an und mahlte sich durch den tiefen Schnee am Rande des Weges, dort, wo die Spuren der Kraftfahrzeuge liefen. Er preschte an Bindigs Versteck vorbei, und die anderen folgten ihm, einer nach dem anderen, mit donnernden Motoren, Schnee und aufgewühlte Erde hinter den Ketten in die Luft wirbelnd. Bindig kroch weiter. Zuerst fiel es ihm schwer. Aber dann nahm er alle Kräfte zusammen und schob sich zwischen den Bäumen vorwärts.
Der Verband über der Stirn sog das Blut auf. Bindig konnte jetzt besser sehen, aber um so stärker quälte ihn der Schmerz im Kopf. Es war, als habe ihn jemand mit einem schweren Gegenstand die Schädeldecke eingeschlagen. Er tastete immer wieder in der Nähe des Verbandes, ob da nicht noch eine Wunde war, aber er fand keine. Hinter ihm rasselten die Panzer. Noch waren sie nicht auf seiner Spur, aber sie hetzten ihn trotzdem. Ihr Gerassel spornte ihn an, die letzten Kräfte zusammenzunehmen und vorwärts zu stolpern. Er rannte, nicht darauf achtend, daß die Zweige sein Gesicht peitschten und er mit dem Tarnumhang an den Ästen hängenblieb. Dann fiel hinten am Holzplatz der erste Schuß. Es gab einen kurzen, schmetternden Krach, und Bindig lauschte im Weiterlaufen auf die nächsten Schüsse. Doch die Kanonen der Panzer schwiegen. Aber dafür kamen hastige, rauhe Kommandos herüber, Rufe, die Bindig Angst einflößten. Er spürte nicht, wie die Äste ihm das Gesicht aufrissen, wie der Schnee ihm von oben her in die Stiefel drang, immer wenn er hinfiel und sich kriechend wieder aufraffte. Er hörte die Stimmen und den Pfiff einer Trillerpfeife, und er wußte, was das bedeutete. Er wußte, jetzt würden die Soldaten von den Panzern abspringen, wo sie zusammengekauert, die Waffen zwischen den Knien, gehockt hatten. Jetzt würden sie sich zu einer Kette formieren und in den Wald eindringen. Einer in Rufweite des anderen, die Maschinenpistole vorgestreckt. Ihm war, als kämen sie auf ihn zu, aber in Wirklichkeit gingen sie nicht in seiner Richtung. Sie folgten dem Fluchtweg der anderen, ausgeschwärmt und mit wachen Augen, sicher, daß sie die Flüchtigen einholen würden. Sie kannten nicht genau die Zusammenhänge, aber sie hatten begriffen, was geschehen war.
Bindig stolperte über einen Weg, und dann kämpfte er sich wieder durch verfilztes Fichtendickicht. Es fiel ihm schwer, aber er wußte, daß er hier am sichersten war. In diesem Dickicht konnte man ihn schwer ausfindig machen.
Die Geräusche hinter ihm waren leiser geworden. Die Panzermotoren
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