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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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daran, daß ihnen das etwas schadet? Daß es sie aufhält?"
    „Es bringt Durcheinander in ihr System", sagte Timm. „Es war nicht die beste Aktion. Sie war nicht gut genug vorbereitet."
    „Ich weiß nicht", sagte Zado zweifelnd, „ob das nur an der Vorbereitung gelegen hat. Ich glaube, diese ganze Art von Kriegführung hat nichts mehr mit Krieg zu tun und ist außerdem aussichtslos. Das ist es."
    Timm brannte sich eine Zigarette an. Er war so müde, daß er jeden Augenblick hätte umsinken können. Er spürte, daß aus der Wunde viel Blut gelaufen war. Es hatte seine Unterwäsche mit einer steifen Kruste versehen, die jetzt scheuerte. Mit dem Blut schien die Energie aus seinem Körper geflossen zu sein. Er zog an der Zigarette und sagte müde zu Zado: „Red nicht soviel Unsinn. Wenn wir zu Hause sind, wirst du dich nicht mehr gern daran erinnern. Laß uns erst mal drüben sein, dann wirst du sehen, wie es weitergeht. Im Frühjahr machen wir aus allem, was uns gegenüberliegt, Hackfleisch für die Konzentrationslager."
    Die Sonne schob sich sehe langsam im Osten über den Horizont. Die beiden Männer konnten sie nicht sehen, aber sie gewahrten den schwachen Schein, der über die Erde huschte, den fahlen Schimmer des Morgens auf dem Schnee. Weit lag die Ebene vor ihnen. Nichts als dickverschneites Buschland. Weiter hinten gab es wieder Seen, aber die waren nicht erkennbar. Zado erhob sich und beobachtete lange Zeit aufmerksam das Gelände. Seinem Auge entging keine Einzelheit, aber es gab auf dieser Ebene nichts, was den beiden Soldaten hätte gefährlich werden können. Sie lag weit von den Verkehrswegen ab, und die Dörfer waren hier nicht sehr dicht gestreut.
    „Komm", sagte Zado, „wir wollen nicht vom Frühjahr reden. Wir müssen jetzt ein paar Stunden ohne Deckung marschieren. Halt die Augen offen."
    Das war vor zwei Tagen gewesen. Zado erinnerte sich nicht mehr genau daran, denn er vergaß schnell, was sich in diesen angsterfüllten Stunden abspielte. Er achtete nicht darauf, er strebte nur mit der unglaublichen Energie eines Tieres vorwärts, dem einzigen Gedanken folgend, hinter die Hauptkampflinie zu gelangen, alles zu überstehen. Timm wußte, daß er ohne Zado niemals durch die Schützenlinie der Roten Armee kommen würde.
    Diese Überlegung verlieh ihm Kräfte, die dazu ausreichten, sich Kilometer um Kilometer weiterzuschleppen, immer hinter
    Zado her, der wie ein Wolf auf der Fährte vorwärts trottete, mit den Augen argwöhnisch alles ringsum beobachtend.
    Zado sah sofort, daß die Mühle unbesetzt war. Sie hatte leergeschlagene Fensterhöhlen an der einen Seite. Ein paar Granaten hatten sie getroffen. Sie schienen von Panzern zu stammen, die daran vorbeigefahren und sicherheitshalber einmal hineingeschosscn hatten. Zado sah einen Schwärm Krähen hinter der Mühle auf dem Schnee hocken. Er beobachtete sie eine Weile, dann kroch er weiter, die letzten paar Meter in dem angedeuteten Graben. Die Krähen blieben auf dem Schneefeld hocken. Sie wußten, daß in der Mühle kein Mensch wohnte, der sie hätte aufscheuchen können, und den herankriechenden Soldaten nahmen sie nicht wahr. Zado überquerte den Platz vor der Mühle gebückt, die Maschinenpistole schußbereit, wie eine Katze sich vorwärts bewegend. Seine Augen suchten das Mauerwerk ab, aber sie fanden keine Öffnung, durch die ihn jemand beobachtet hätte. Er verließ sich nicht auf Timm, der hinter den Büschen lag und ihn schützte. Er traute nur seinen eigenen Augen, seinem Instinkt, denn Timm stand nicht mehr fest auf den Beinen. Timm war ohne Energie, er war die letzten Kilometer hinter Zado hergewankt, der unbarmherzig ausgeschritten war, rücksichtslos. Hier an der Mühle war Timm nahe dem Zusammenbrechen gewesen. Er hat längst den Brand in der Wunde, dachte Zado, aber man kann nichts dagegen tun. Man kann ihn nur noch so weit mitschleppen, wie ihn seine Füße tragen, und wenn es vorbei ist, muß man ihn liegenlassen.
    Hier gibt es keine andere Überlegung, hier muß sich der retten, der noch die Kraft dazu hat. Wer sie nicht hat, muß verrecken.
    Zado lächelte grimmig in sich hinein. Du wirst krepieren, dachte er, und ich werde dich liegenlassen wie einen Hund. Denn ich werde durchkommen. Ich bin bis hierher gekommen und werde es die letzten Kilometer auch noch schaffen. Diesmal komme ich durch, nicht du, Timm. Der Gedanke daran, daß Timm es nicht schaffen würde, verlieh ihm eine große Befriedigung. Mit einem Satz sprang er

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