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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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war im Grunde ein Kindergesicht. Nur fehlte ihm die Naivität eines Kindergesichts. Alf konnte nicht verbergen, daß er ein berechnender Mensch war, es stand auf seinem Gesicht geschrieben, in seinen Augen. Es war eine Art Berechnung, wie man sie öfter antrifft: ein Mensch, der sich selbst grenzenlos offen eingesteht, daß seine Anlagen und seine erworbenen Fähigkeiten nicht ausreichen, das zu erfüllen, wofür man ihn bestimmt hat. Ein Mensch, der aus diesem Grunde die Klaviatur der sanften Verbindlichkeit so lange geübt hat, bis er sie mit raffinierter Sicherheit beherrschte und mit ihrer Hilfe die Wechselfälle, die sich aus dem Mißverhältnis zwischen seinen Fähigkeiten und seinen Aufgaben ergaben, zu meistern verstand, je nach den Umständen ungestüm oder zögernd, manchmal scharf oder mit scheinbarer Nachsicht, die nichts weiter war als in Berechnung umgemünzte Unfähigkeit. Er verbreitete um sich eine Atmosphäre behaglicher Gutherzigkeit. Er verbreitete sie sehr bewußt, und gerade deshalb merkte selten jemand, daß es nur Berechnung war.
    Alf war einer von den Offizieren, die auf diese Art mit ihren Soldaten umgingen. Sie genießen bei der ihnen unterstellten Truppe den Ruf eines gemütlichen, großherzigen Vorgesetzten, der klug genug ist, über kleine Widersetzlichkeiten und Abweichungen von der Dienstregel hinwegzusehen, und sich nicht in Dinge einmischt, die von den Soldaten gern unter sich ausgemacht werden. Er verstand es, seine Unteroffiziere und Feldwebel so einzusetzen, daß niemals jemand auf die Idee kam, er hätte nicht alle Fäden in der Hand.
    Aber in Wirklichkeit hatte er nichts weiter in der Hand als ein paar gehorsame Unterführer, die sich von ihm abhängig fühlten und danach trachteten, ihm angenehm aufzufallen, weil sich daraus Vorteile für sie selbst ergaben. Dieses Verhältnis übertrug sich in gewisser Weise auf die einfachen Soldaten, die ebenfalls bestrebt waren, nicht den Unwillen ihrer Unteroffiziere zu erregen, weil daraus Unbequemlichkeiten erwuchsen.
    Auf diese Weise regierte sich die Kompanie eigentlich von selbst und doch nicht von selbst, sondern das Verhältnis der einzelnen Dienstgrade zueinander war bestimmt durch die außergewöhnliche Art ihres Einsatzes und die betont lockere Auffassung vom Leben zwischen den dicht oder weniger dicht aufeinander folgenden Fronteinsätzen.
    Es war eine eigenartige Einheit, diese Frontaufklärungs-kompanie. Beim Regimentsstab hatte man sie zwar nicht vergessen, aber man beachtete sie kaum. Sie hatte ihre Aufgaben, und damit war die Sache auf der richtigen Bahn. Die Division beurteilte den Wert und die Kampfmoral der Kompanie nach den Erfolgen, die bei den Einsätzen errungen wurden. Dort sah man sich die Leute an, die zum Einsatz kommandiert wurden. Man überprüfte sie auf ihre Gefechtstauglichkeit und auf ihre Zähigkeit und Ausdauer. Man stellte ihnen im Rahmen der Vorbereitung bestimmter Einsätze kleine Aufgaben und maß so ihren Wert. Das war genau besehen die einzige Verbindung, die die Einheit mit der übrigen Welt der Militärmaschine besaß. Es gab niemanden, der dieser Kompanie etwas zu befehlen hatte, außer dem Divisionsstab und dem Kompaniechef.
    Es gab niemanden, der sie kontrollierte, außer dem Ic der Division, und der hielt nicht viel von Kontrollfahrten, die in den Frontbereich führten. Die Truppe aber hatte laut Armeebefehl im unmittelbaren Bereich der Front stationiert zu sein. Dieser Befehl galt weniger der Stärkung der Front an der betreffenden Stelle, denn es bestand die Anweisung, daß die Kompanie nur auf höheren Befehl in der Hauptkampflinie eingesetzt werden durfte.
    Er galt vielmehr der Verbindung der Kompanie mit dem täglichen Kampfgeschehen an der Front. Die Männer sollten den Klang der Artillerieduelle, das Pfeifen der Geschosse und das Heulen der Tiefflieger nicht aus den Ohren verlieren. Ihre Nerven sollten die Hochspannung behalten, die nötig war, wenn sie eingesetzt wurden. Ihre Nerven, ihr ganzer Organismus durften nicht der absoluten Ruhe ausgesetzt werden, weil jene Ruhe nach Meinung der Armeeführung die Trägheit in ihnen wecken würde, die Angst vor dem nächsten Flug, mit einem Wort, die Unzuverlässigkeit.
    Leutnant Alf saß an einem roh zusammengezimmerten Tisch in der Stube des Hauses, das dem Kompaniestab als Unterkunft diente. Er hatte den Federhalter in der Hand und schrieb an den Briefen, die den Frauen der vier Gefallenen den Tod ihrer Männer mitteilten. Als Zado eintrat,

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