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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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einzelnen Detonationen sekundenlang zu einem einzigen, unablässigen Dröhnen und Krachen. Dann zog Zado unwillkürlich den Kopf ein. Er war nicht an Artilleriefeuer gewöhnt. Es hatte ihn selten erwischt. Einesteils fühlte er sich in dem Unterstand sicher, aber andererseits befürchtete er, daß eine der Granaten plötzlich in die Decke schlagen konnte. Dann werden sie von uns ebenso wenig finden wie von den beiden mit ihrem Volkswagen, dachte er.
    Der Melder bewegte sich. Er ruckte mit dem Oberkörper hin und her wie eine Maus, die vor ihrem Loch hockt. Dann kam er mit seinem Gesicht Zados Ohr nahe und sagte so laut, daß Zado es im Gepolter der Einschläge gerade noch verstehen konnte: „Jetzt hätten wir schon zu Hause sein können ... wenn du nicht hinter diesen beiden Trotteln hergefahren wärst..."
    Er ließ sieh wieder zusammensinken und hielt die Hände ängstlich vor das Gesicht. Vor dem Unterstand krepierte mit kreischendem Ton eine Granate. Für einen Augenblick war das Loch hell erleuchtet. Zado sah, daß vor ihm, auf der festgestampften Erde, ein abgebrochenes Seitengewehr lag. Es war ein deutsches. Es war verrostet, und der Griff war in den Boden getreten.
    Noch ehe das Schlaglicht der Granate erlosch, klirrte ein Splitter ins Gestänge der Maschine. Der Melder seufzte auf; „Fehlt noch, daß sie mir die Mühle zerschießen . ., dann kann ich zur Infanterie marschieren ..." Nach einer Weile fügte er vorwurfsvoll hinzu: „Und alles deinetwegen ..."
    Zado antwortete ihm nicht gleich. Er dachte an die beiden, die in das Minenfeld gefahren waren. Es ist eigentümlich, sagte er sich, man kann töten, ohne sein Gewissen zu belasten. Er wußte schon jetzt nicht mehr, wie die beiden ausgesehen hatten. Er hatte sie beinahe vergessen. Es würde ihn auch nichts weiter an sie erinnern. Er hatte sie getötet, darüber gab es keinen Zweifel. Ebensowenig darüber, daß es nötig gewesen war, sie zu töten, wenn Bindig, dieser Hitzkopf, nicht zu irgendeiner Strafeinheit kommen sollte. Aber was lag schon an ihrem Tod? Zado versuchte den Unterschied herauszufinden zwischen den drei Russen, die er beim letzten Einsatz getötet hatte, und diesen beiden Männern. Es gab diesen Unterschied. Allein die Qual der Erinnerung bewies es. Bei diesen beiden Männern würde es keine Qual geben. Sie waren tot. Gut. Sie waren so tot, als wären sie neben Zado an dem Geschoß irgendeines fremden Scharfschützen gestorben, nicht an der Mine, über die er selbst sie berechnend und kalt geschickt hatte.
    Er duckte sich unter dem nächsten Einschlag und schüttelte unwillig die Erdklumpen aus dem Genick. Er hatte sich an das Feuer gewöhnt. Er hatte nicht geglaubt, daß es so schnell gehen würde, aber jetzt störte es ihn kaum noch. Es konnte einschlagen, dann war es aus. Oder durch das Gestänge der Maschine hindurch konnte ein Splitter ihm den Hals zerreißen, das Gesicht. Egal. Man konnte es nicht ändern.
    Er griff nach einer Zigarette. Während er sie anrauchte, erinnerte er sich an den Melder. Er gab ihm ebenfalls eine Zigarette. Der Mann brannte sie mit zitternden Händen an. Sein Gesicht war schweißüberströmt, Zado konnte es im Schein des Feuerzeuges sehen.
    „Rauch!" sagte er. „Wenn die mit ihrer beschissenen Schießerei aufhören, fahren wir gemütlich heim."
    „Sie zerschießen mir die Maschine ...", sagte der Melder. „Sie zerschießen mir die Maschine, und ich muß zur Infanterie ..."
    Sie werden nicht nach den beiden suchen, dachte Zado. Auf das Minenfeld können sie sowieso nicht, und übrigens ist die Sache auch sonnenklar: Die beiden wollten sich den Weg abkürzen und sind auf die Mine gefahren. Sie hatten vergessen, daß ich sie davor gewarnt hatte. Ich war ja schon auf dem Heimweg, denn sie entließen mich, als sie den Weg nicht mehr verfehlen konnten, und ich fuhr mit dem Melder weiter. Ich sah sie verkehrt fahren und wollte sie noch retten, aber es war zu spät, sie waren schon mittendrin. Unvorsichtige Burschen. Wer wird da schon etwas anderes vermuten. Schlimmer, wenn sie irgendwo hier im Wald lägen mit einer Pistolenkugel im Kopf.
    Aber so - kein Mensch wird argwöhnisch werden. Es ist ein ganz natürlicher Vorfall. Das gibt es hundertmal und öfter. Ob es deshalb so leicht gewesen ist? Oder weil es um Bindig ging? Zado zog an der Zigarette und blickte versonnen auf das Einstiegsloch.
    Die Einschläge lagen jetzt weiter entfernt. Das Feuer wanderte nach hinten. Die flackernden Lichter waren

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