Die Stunde des Jägers - EXOCET
Bett.
In der Avenue Victor Hugo, nur gut einen Kilometer weiter, lehnte Gabrielle in diesem Moment am Balkongitter ihrer Wohnung. Das Ganze war irgendwie unwirklich, wie ein Traum in Zeitlupe, bei dem man nicht unmittelbar beteiligt ist, sondern als Beobachter daneben steht. Irgendwo in der Nähe war Raul, das wußte sie, weil Corwin ihr am Telefon gesagt hatte, er werde heute abend erwartet.
Das Telefon klingelte, und sie lief hinein und nahm den Hörer ab. Corwin sagte: »Er ist da. Ich bin ihm und Garcia zu einem Mietshaus in der Avenue de Neuilly gefolgt. Habe die Concierge ein bißchen bestochen, um die Nummer der Wohnung herauszubekommen. Hier ist die Adresse.«
Sie schrieb sie auf. »Was soll ich nun machen? Hinfahren und an die Tür klopfen?«
»Keine sehr gute Idee«, antwortete Corwin. »Ich finde, wir sollten es Major Villiers überlassen, meinen Sie nicht auch? Er kommt morgen.«
Er legte auf. Gabrielle stand eine Weile da und betracht ete die Adresse, prägte sie sich ein und zerriß dann den Ze ttel, ging in die Küche und warf die Fetzen in den Müllschlucker.
»Und jetzt fängt wieder das Lügen an«, flüsterte sie. »Und die Täuschung und der Betrug.« Sie drehte sich langsam um und ging ins Wohnzimmer zurück.
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Die Adresse, die Bobst von Below bekommen hatte, war ein kleiner Nachtclub in einer Gasse auf dem Montmartre, der von einem Mann namens Gaston Roux geführt wurde.
Roux war klein, trug einen gutgeschnittenen Nadelstreifena nzug und hatte eine Hornbrille auf. Er hätte ein Rechtsanwalt oder Steuerberater oder auch ein erfolgreicher Geschäftsmann sein können, was in gewisser Hinsicht sogar stimmte, nur daß er in der Verbrecherbranche arbeitete. Er hatte seine Finger fast überall drin, von Drogen bis zu Prostitution, und seine Skrupellosigkeit war in der Pariser Unterwelt legendär.
»Ich brauche ein paar schwere Jungs«, erklärte Bobst, als er den ausgezeichneten Cognac trank, den Roux ihm eingeschenkt hatte. »Mein Kontakt sagte, Sie seien der richtige Mann dafür.«
»Ich habe einen gewissen Ruf, Monsieur«, sagte Roux. »Das stimmt. Wie viele Männer sollen es sein?«
»Acht.«
»Und unser gemeinsamer Freund hat mir berichtet, Sie würden ehemalige Soldaten bevorzugen, und einer davon müßte Funkspezialist sein.«
»Genau.«
»Das Projekt scheint also wichtig zu sein. Können Sie mir Einzelheiten sagen?«
»Lieber nicht.«
Roux ließ nicht locker. »Wäre eine Schießerei denkbar?«
»Ja, und deshalb biete ich fünfundzwanzigtausend Franc pro Mann.«
Roux nickte. »Für wie lange würden Sie die Leute brauchen?«
»Sie müßten sich zwei oder drei Tage irgendwo auf dem Land aufhalten, damit ich sie einweisen kann. Der eigentliche Job wird höchstens drei bis vier Stunden dauern.«
Roux atmete auf. »Sehr gut. Meine Bedingungen sind fol
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gende. Hunderttausend Franc für meine Dienste als Vermittler, und dafür besorge ich Ihnen acht Mann, die nicht mal davor zurückschrecken würden, ihre eigene Großmutter umzulegen. Sie kosten allerdings dreißigtausend pro Kopf.«
»Ich hatte gleich das Gefühl, daß ich bei Ihnen richtig bin.«
Bobst wandte sich zu Kemal, der an der Tür stand, und schnippte mit den Fingern. Der Türke näherte sich, stellte eine dunkelblaue Aktentasche auf den Tisch und klappte sie auf. Sie war mit Geldscheinbündeln gefüllt.
Bobst schob ein Bündel nach dem anderen über den Tisch. »Zweihundertvierzigtausend für die Jungs, hundert für Sie. Runden wir auf dreifünfzig auf. Ich habe was gegen Wechselgeld.«
»Im voraus?« sagte Roux. »Alles?«
»Warum nicht? Nehmen Sie es als Vertrauensbeweis meinerseits.«
Roux lächelte, wobei Goldkronen auf seinen Backenzähnen blitzten. »Sie gefallen mir, Monsieur. Ehrlich. Ich habe in Erwartung eines erfolgreichen Abschlusses bereits eine Vorauswahl getroffen. Sie brauchen sie sich nur anzusehen und die zu bestimmen, die Ihnen geeignet erscheinen. Wenn Sie möchten, können wir die Angelegenheit sofort regeln.«
Zwei Straßen weiter blieben sie vor einem Hauseingang mit dem Firmenschild »Roux & Sohn, Bestattungen« stehen.
Als Roux die Tür öffnete und voranging, sagte er: »Eine seriöse Firma. Ich habe sie eigentlich nur gegründet, um einigen meiner Unternehmen einen respektablen Hintergrund zu geben, aber mein Sohn Paul nimmt die Sache überraschend ernst.«
»Nun, über
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