Die Stunde des Puppenspielers: Thriller (German Edition)
hätten Fotos der Opfer der Mordserie in Großbritannien, des Vogelscheuchen-Prozesses. Kann ich sie sehen?«
Danny zeigte ihr die Fotos der Vertanness-Morde, die Fotos, die er in O’Byrnes Haus geschossen hatte. Dann gab er ihr das Foto, das Paco vom Opfer in Alan Reades Haus aufgenommen hatte. Sie betrachtete sie eingehend und begann dann, sich Notizen zu machen. Nach ein paar Minuten sagte sie zu Danny: »Sie können gern eine Weile auf dem Campus spazieren gehen, Mr. Sanchez. Hierzu brauche ich mindestens eine Stunde. Lassen Sie mir auch das da, was Sie sich notiert haben. Mein Englisch ist gut.«
Danny schlenderte über das Gelände dicht am Ufer, überquerte die Straße und stand dann vor der Wand aus großen, braunen Felsbrocken, die als Wellenbrecher diente. Wind rauschte in den Palmen an der Uferpromenade, das Meer brandete in breiten Bahnen weißer Gischt heran. Die Spätnachmittagssonne versank langsam im Meer. Nirgendwo auf der Welt fand man einen Sonnenuntergang wie an der Küste Südspaniens.
Er rauchte ein paar Zigaretten, trank einen Kaffee und kehrte dann in Donaires Büro zurück. Zuvor hatte er sie überrumpelt, das war ihm jetzt bewusst, nun aber, da sie die Gelegenheit erhalten hatte, über alles genau nachzudenken, erkannte Danny, dass sie aufgeregt war.
Sie bot ihm einen Stuhl an, bat ihn, noch ein paar Punkte zu klären, und begann dann zu reden. »Okay, nach dem, was ich gesehen und von Ihnen gehört habe, ist Orson wahrscheinlich « – sie betonte das Wort – »ein gerissenes, skrupelloses und intelligentes Individuum Mitte dreißig mit einer Vorgeschichte familiären Missbrauchs.«
»Wie können Sie das Alter bestimmen?«
»Leute wie Orson werden in der Kindheit verkorkst, dann kommen die Pubertät und die Hormone, und der verkorkste Teil entwickelt allmählich das Bedürfnis, sich auszudrücken. Das ist eine der Tragödien: Der Missbrauchte wird oft zum Missbrauchenden. Abweichendes Verhalten wie dieses manifestiert sich normalerweise kurz vor oder nach dem zwanzigsten Lebensjahr. Das heißt, wenn Orson 1994 anfing, muss er jetzt Mitte dreißig sein. Er ist außerdem eine Person, die nach außen hin selbstsicher auftritt und es gewohnt ist, beobachtet zu werden. Schauen Sie sich nur die Mühelosigkeit an, mit der er andere dazu bringt, ihm zu Willen zu sein.«
»Orson benutzt also diese Ersatzmörder, um sich selbst zu schützen?«
»Das glaube ich nicht. Ich würde sagen, Orson setzt eine zweite Person ein, weil er den starken Wunsch verspürt, seine Opfer gedemütigt zu sehen. Die Verwendung eines Ersatzmörders, wie Sie es nennen, bedeutet, dass Orson im Hintergrund bleiben und jeden Augenblick des Spektakels ohne Unterbrechung genießen kann. Ich würde sogar die Vermutung wagen, dass die Kastration der letzte Akt der Machtausübung ist und von Orson selbst durchgeführt wird, sobald er allein mit dem Opfer ist.«
Das klang alles sehr plausibel. Danny machte sich Notizen. »Können Sie mir sonst noch was über ihn sagen?«
»Er hat bewiesen, dass er absolut skrupellos und zielstrebig sein kann. Sooft ein Komplize sich als problematisch erwies, beseitigte er ihn bedenkenlos. Dennoch scheint er eine gewisse Zurückhaltung in Bezug auf den eigentlichen Akt des Tötens zu haben.«
»Tatsächlich? Woraus schließen Sie das?«
»Diese Isolierbandmaske, die Sie beschrieben haben. Sie diente nicht dazu, das Opfer zum Schweigen zu bringen. Dazu wäre lediglich ein Band über den Lippen nötig gewesen. Sehen Sie, wie sie den gesamten Kopf bedeckt – der Person wird nicht nur die Sprech-, sondern auch die Seh- und Hörfähigkeit genommen. Und mit verhüllten Gesichtszügen wird das Opfer zu einem Objekt, zu einer Unperson, wenn Sie so wollen, etwas, das kontrolliert, gedemütigt werden kann. Ich glaube, Sie sagten, dass Nicholas Todds Kopf mit einem Kissenbezug bedeckt war.«
»Was bedeutet das?«
»Ich glaube, es zeigt, dieser Orson weiß, dass falsch ist, was er tut.«
»Ist das besser?«
»Schlimmer. Viel schlimmer. Das ist keine Person, deren Pathologie ihre Handlungen kontrolliert, sie zum Handeln zwingt. Diese Person hat sich komplett unter Kontrolle. Sie entscheidet selbst , wann sie sich auf diese Art verhält. Und das macht sie viel gefährlicher als einen normalen Serienmörder. Die Chancen, dass ihr nach so langer Zeit noch ein Fehler unterläuft, sind minimal.«
Und der Mistkerl weiß, wer ich bin , dachte Danny. Das war genau das, was er nicht hören
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