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Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Titel: Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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sie nicht mehr vorgedrungen waren, nicht mehr vordringen würden. Immer wieder ertappte sie sich bei diesem Gedanken. Dann sah sie den verletzten Zug um ihren Mund in der Drehtür. Es spielte ja keine Rolle mehr. Spielte ja schon wieder keine Rolle mehr.
    Vielleicht hatte sie deshalb den Mann nicht durch die Tür kommen sehen – weil sie sich selbst angesehen hatte. Vielleicht auch, weil er so gar nichts Auffälliges an sich hatte. Als er aber an die Theke trat, genau vor sie hin, erkannte Carola Kern sofort, dass er nicht gekommen war, um eine Teekanne zu kaufen.
    »Frau Kern, ich muss Sie sprechen«, sagte der Mann, der graue Haare hatte, eine Brille trug und einen weiten, dicken Wollmantel. Zu warm für diesen schönen Herbsttag, dachte sie, da fuhr er schon fort: »Es geht um Gabriel Tretjak.«
    Sie spürte ihren Magen bei diesem Namen, sofort, als hätte jemand durch die Haut hindurch nach ihm gegriffen. Ein Gebräu aus Gefühlen überschwemmte ihren Körper. Wut, Sorge, Angst, Enttäuschung, das waren die Bestandteile. Liebe? Ja, auch Liebe, das wusste sie, das hasste sie. Sie hörte den Mann sagen, dass sie vielleicht besser in einen Raum gingen, wo sie ungestört reden könnten. Sie sah sich dabei zu, wie sie den mittleren Teil der alten Holztheke nach oben klappte, ihm bedeutete, hindurchzutreten und ihr zu folgen. Eine Tür, eine kleine Treppe ins Souterrain. Noch eine Tür. Ihr Büro.

    »Sehr schöner Laden«, sagte der Mann, als er im Sessel vor ihrem Schreibtisch Platz genommen hatte. Den Mantel hatte er anbehalten, Getränke hatte er abgelehnt. Das Büro war ein unspektakulärer, eher kleiner Raum. Zwei Fenster, die in einen Hinterhof führten, Regale mit Ordnern, Büchern und Papieren. Nur der Tisch war ein schönes Stück – und der englische Clubsessel für die Besucher. Beide stammten aus der Auflösung eines Cafés in Wien. Auf dem Tisch stand ein Foto von Carola Kerns Eltern, beide lachend, neben ihnen ein riesiger Hund.
    »Ja, ein schöner Laden«, sagte Carola Kern. Und fügte gleich hinzu: »Wer sind Sie? Worum geht es?«
    »Es geht um Sie, Frau Kern«, sagte der Mann. »Um Ihr Leben. Ihre Träume, Ihre Gefühle.«
    »Ach ja?«, sagte sie. Vielleicht war es einfach nur ein Verrückter. Aber so sah er nicht aus.
    »Jemand spielt mit Ihnen, mit Ihren Sehnsüchten, Ihren Träumen, Ihrer ganzen Biographie. Sie sollten das wissen«, sagte der Mann. »Sie sollten es endlich wissen.« Er griff in den Mantel, öffnete eine Brieftasche und reichte ihr über den Tisch eine Visitenkarte. Sie sah einen Namen, sie sah den Begriff Rechtsanwalt .
    »Sie sind eine kluge Frau«, sagte der Mann. »Sie wissen, dass Visitenkarten nichts bedeuten. Diese hier bedeutet auch nichts. Sie ist falsch.« Er lächelte. Das dünne Lächeln eines Menschen, der sich schon lange und immer wieder neu verkannt fühlt. »Es geht hier nicht um mich. Sondern um Sie. Und um Gabriel Tretjak.«
    Sie hätte diesen Mann aus ihrem Büro werfen müssen. Das dachte sie nicht erst hinterher, sie wusste es schon in diesem Moment. Eine Stimme in ihr meldete sich ganz deutlich: Schick ihn weg. Aber man hört nicht immer auf die richtige Stimme. Sie dachte an ihr zweites Treffen mit Gabriel. Seit Tagen dachte sie an nichts anderes. An diesen Nachmittag, den sie sich gestohlen hatten, den sie ihren Terminen und Verpflichtungen einfach entwendet hatten. Sie hatte einfach eine Dienstreise zu einem Produzenten abgesagt, die schon überfällig gewesen war, und er war einfach ins Auto gestiegen und nach Luzern gefahren, obwohl er, wie er sagte, in Genf in wichtigen Geschäftsverhandlungen steckte. Sie hatten Sex gehabt, gleich in seinem Auto, als wären sie beide noch 18. Gott, er war einfach in ein Parkhaus gefahren, hatte den Wagen in den Serpentinen immer weiter nach oben geschraubt, immer höher, bis zur letzten Ebene, wo niemand mehr war. Da hatte sie schon ihr Höschen ausgezogen und seine Hose geöffnet … Danach hatten sie in einem Café gesessen, irgendeinem, ist doch völlig egal, hatte er gesagt. Hatten sich angesehen und gelacht und sich wieder angesehen. Die Nachricht auf seinem Telefon hatte ihn irritiert, das hatte sie gemerkt. »Carola«, hatte er gesagt und sich dabei umgesehen, als vermutete er die Person, die ihm die Nachricht geschickt hatte, im Café. »Carola, ich muss jemanden treffen. Jetzt sofort. Es geht nicht anders. Dauert nur eine Stunde. Kannst du einfach hier warten?« Sie hatte ihn durch die Tür gehen sehen,

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