Die Sturmreiterin - Hennen, B: Sturmreiterin
der Gewalt. Er streckte den Arm vor und zielte. Eine Flamme schoss aus der Mündung der Waffe. Fast sofort klirrte das Glas der Flasche auf den Boden. Ein Treffer!
Gabriela fluchte leise. Die dunkle Flasche auf der zwanzig Schritt entfernten Bank war kaum zu erkennen. Unstet spiegelte sich das flackernde Licht der Fackeln darin. Hätte sie nur ihren Mund gehalten! Den Flaschenhals anzuvisieren war in der Tat so gut wie unmöglich.
Um schießen zu können, musste sie zunächst eine der beiden Pistolen nachladen. Sie nahm das Pulverhorn aus dem Kasten und füllte eine abgemessene Menge Schwarzpulver in den Lauf. Dann öffnete sie die kleine Dose, in der die gefetteten Stoffläppchen lagen, und nahm eine der Bleikugeln aus einem Seitenfach des Pistolenkastens. Das Läppchen legte sie auf die Mündung des Laufs und platzierte die Kugel darüber. Ihr nächster Handgriff galt dem kleinen Hammer mit dem Griff aus Elfenbein. Mit einem gezielten Schlag trieb sie die Kugel ein Stück weit in den gezogenen Lauf. Anschließend nahm sie den stählernen Ladestock, setzte ihn in die Mündung ein und trieb die Kugel so weit in den Lauf, dass sie fest auf der Pulverladung saß. Schließlich gab sie aus dem silberbeschlagenen Horn eine kleine Prise fein gemahlenes Zündpulver auf die Pulverpfanne und überprüfte mit dem Daumen kurz den Sitz des Feuersteins am Abzugshahn. Endlich war die Waffe schussbereit!
»Nun, Madame, ich biete Euch ein ehrenhaftes Unentschieden an. Ihr habt Euch wacker geschlagen.«
Gabriela bedachte den Baron mit einem geringschätzigen Blick. »Habt Ihr Angst zu verlieren?«
»Seid Ihr denn närrisch? Ich bin beileibe kein schlechter Schütze, wie ich wohl bewiesen habe, doch es war reines Glück, die Flasche zu treffen. Ihr könnt nicht gewinnen, und mir liegt nicht daran, Euch Eures Pferdes zu berauben.«
»Ihr braucht vielleicht Glück beim Schießen, mein Freund. Ich hingegen kann es.« Sie trat zum Kreidestrich und blickte mit zusammengekniffenen Augen zur Flasche. Ihre Hand war nass vor Schweiß. Innerlich verfluchte sie sich für ihren Hochmut. Sie hätte sich nichts damit vergeben, das Angebot des Offiziers anzunehmen. Warum hatte sie ihn noch einmal beleidigen müssen? Was brachte das? Wenn sie jetzt danebenschoss, war sie blamiert und würde obendrein auch noch ihre geliebte Stute verlieren. Doch es gab kein Zurück mehr! Sie streckte den Arm vor und zielte über den Lauf hinweg. Die Flasche war kaum zu erkennen. Vielleicht sollte sie stattdessen lieber auf die Bank zielen. Warum nicht denselben Trick wie der Baron anwenden? Wenn die Bank umstürzte, würde die Flasche gewiss auf dem Boden zerschellen. Damit hätte sie mit ihrem Kontrahenten gleichgezogen. Sorgfältig zielte sie auf das Sitzbrett der Bank. Ihr Finger krümmte sich am Abzug. Der Schuss versetzte ihr einen Schlag in den Arm. Blinzelnd spähte sie durch den beißenden Rauch. Die Bank stand noch! Sie hatte danebengeschossen!
Die Waffe wog jetzt wie eine Zentnerlast in ihrer Hand. Resignierend ließ sie den Arm sinken. Einer der Soldaten am Ende des Hofes lief zu der Bank, um die Flasche zu untersuchen.
»Ich werde Euch die Stute zu einem günstigen Preis zum Rückkauf anbieten.« Baron von Richter lächelte gönnerisch…
»Das wird nicht nötig sein«, entgegnete Gabriela. Sie besaß nur ein paar Kupfermünzen. So günstig würde er Nazli niemals abtreten. Nach dieser Blamage brauchte sie auch nicht auf die Unterstützung ihres Onkels zu rechnen.
»Bei allen Heiligen! Herr General!« Der Soldat, der zu der Bank gegangen war, hielt die Flasche in die Luft. »Sie hat sauber das Mundstück abgeschossen. So etwas habe ich noch nie gesehen!« Die Kanoniere brachen in lauten Jubel aus.
Fassungslos starrte der Baron zu dem Mann, der die Flasche hin und her schwenkte. »Das gibt es nicht! Das ist unmöglich. Der Teufel hat’s gerichtet und … «
»Haltet Eure Zunge im Zaum! Ihr habt verloren, und jeder hier auf dem Platz wird bezeugen, dass es dabei mit rechten Dingen zuging!« Von Bretton war hinter Gabriela getreten und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Falls Ihr weiterhin darauf bestehen solltet, meine Nichte zu verleumden, wird das ein Nachspiel für Euch haben, Herr Baron.«
»Lasst es gut sein, Onkel!« Die Schützin streckte dem Verlierer ihre Hand entgegen. »Ihr habt mir ein sehr ritterliches Angebot gemacht, Herr Baron, als Ihr mir mein Pferd um einen geringen Preis zurückgeben wolltet. Wie könnte ich da hinter
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