Die Sünde
Mafia. Damit wollen sie ihre Gefährlichkeit, aber auch ihre Entschlossenheit demonstrieren. Vielleicht soll der Finger eine erste Drohung darstellen. Man droht ja mit erhobenem Zeigefinger, und das ist in aller Regel der rechte.«
»Vielleicht hat sich ein Witzbold auch nur einen makaberen Scherz in Anlehnung an die Klärung des spektakulären Selbstmordes erlaubt«, bemerkte Yalcin. Nawrod und Bauer schauten sich verwundert an.
»Ich meine, so einen Finger kann man sich doch leicht besorgen, wenn man an der Quelle sitzt«, rechtfertigte sich Yalcin. »Wir haben in Heidelberg eine große Universitätsklinik und ein Rechtsmedizinisches Institut. Jede Wette, dass es mindestens 50 Personen gibt, die an Leichen oder abgetrennte Gliedmaßen kommen, wenn sie es darauf anlegen.«
Nawrod pfiff leise durch die Zähne. »Donnerwetter Klei…, ich meine …« Er räusperte sich. »Alle Achtung, Nesrin, das ist gar keine so schlechte Idee.«
Sabine Bauer schüttelte den Kopf. »Passt aber nicht so richtig zu der Botschaft. Sei’s drum. Ich werde alle uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausschöpfen, um relevante Spuren an dem Päckchen und seinem Inhalt zu sichern. Den Finger bringe ich gleich persönlich zur Gerichtsmedizin. Vielleicht können die feststellen, wann er abgetrennt wurde und wie alt die dazugehörige Person ist. Außerdem lasse ich dort die DNA bestimmen. Vielleicht ist es der Finger eines Kunden, der in unserer Daten-Analyse-Datei einliegt. Es könnte auch sein, dass auf dem Finger fremde DNA -Spuren gefunden werden. Sobald das geklärt ist, werde ich noch einen Abdruck der Fingerkuppe machen und ihn in die AFIS eingeben. Vielleicht haben wir Glück und die Prints der Person sind gespeichert.«
»Wenn wir den Finger-Mann ermitteln können, sind wir schon mal ein ganzes Stück weiter«, erwiderte Nawrod.
»Ich halte es für keine gute Idee, den Finger von der Rechtsmedizin Heidelberg untersuchen zu lassen. Wer weiß, vielleicht kommt er gerade von dort«, sagte Yalcin ernst.
»Da kann ich dich beruhigen«, lächelte die Kriminaltechnikerin. »Barbara Westhof ist eine renommierte Rechtsmedizinerin, die ich schon sehr lange persönlich kenne. Wir kommen auch privat zusammen. Für sie lege ich meine Hand ins Feuer. Ich werde sie bitten, dass ausschließlich sie die Untersuchungen durchführt, und ich weiß, dass sie mir die Bitte nicht abschlagen wird.«
»Okay, ich verlasse mich auf dich.« Nawrod nickte Sabine Bauer zu.
»Wann kann ich mit den ersten Ergebnissen rechnen?«
»Wenn ich Barbara richtig Dampf mache, werden wir von ihr schon morgen einiges erfahren.«
»Das hört sich doch mal gut an.« Nawrod lächelte zufrieden. »Gib gleich Bescheid, sobald du Neuigkeiten für mich hast.«
»Klar doch, Jürgen.«
Nawrod tat es gut, nach so kurzer Zeit in Heidelberg von Sabine Bauer mit dem Vornamen angesprochen zu werden. Natürlich war ihm klar, dass ihm ein bestimmter Ruf vorausging. Sicher hatte es sich in Windeseile herumgesprochen, wer er war, wie er hieß und dass er im Stuttgarter Polizeipräsidium drei korrupte Kollegen ans Messer geliefert hatte.
»Es kann alles und nichts bedeuten«, schloss Nawrod seine kurze Schilderung ab. Kurt Wegner schüttelte ungläubig den Kopf. Ein abgetrennter und mit der Post versandter Finger war ihm während seiner über 40-jährigen Dienstzeit noch nicht untergekommen.
»Rein rechtlich gesehen, handelt es sich hier, wenn überhaupt, nur um eine schwere Körperverletzung, vielleicht sogar nur um einen Verstoß gegen das Bestattungsgesetz, respektive eine Leichenschändung. Mehr aber auch nicht«, betonte Wegner sachlich. »Für die Bearbeitung des Falles ist jedoch unzweifelhaft unser Dezernat zuständig.«
Der Dezernatsleiter rang sichtlich mit sich. »Normalerweise müsste ich den Fall Schneider übertragen. Er kennt sich, was Körperverletzungsdelikte und insbesondere das Bestattungsgesetz anbelangt, bestens aus. Aber Tom ist, wie die übrigen Kollegen, bis zur Oberkante Unterlippe mit anderen Fällen zugedeckt. Momentan hat er 13 Fälle parallel in Bearbeitung. Andererseits könnte es Probleme geben, wenn Sie den Fall selbst in die Hand nehmen. Sie sind ja nicht nur Adressat, sondern explizit auch Opfer dieses Psychopathen.« Wegner schaute Nawrod fragend an.
»Sie sind der Boss«, antwortete Nawrod. »Doch ich sehe da überhaupt keine Probleme. Außerdem macht es wenig Sinn, mich außen vor zu lassen. Gerade weil ich der Adressat bin, kann
Weitere Kostenlose Bücher