Die Sünde
sagte Yalcin.
»Sehr gute Idee«, lobte Wegner erfreut. »Ich sehe, bei Ihnen ist der Fall in den richtigen Händen.«
5
Als Wegner am nächsten Morgen die Tür ihres Büros aufriss, war Yalcin gerade dabei, an der Liste der zu überprüfenden Personen und Institutionen zu arbeiten. Nawrod beschäftigte sich mit einem tödlichen Betriebsunfall, zu dem er vor zwei Tagen hinbeordert worden war. Er musste herausfinden, inwieweit die Firmenleitung von den Sicherheitsmängeln an der Maschine wusste, die dem Arbeiter zum tödlichen Verhängnis geworden waren.
»Ich dachte, ich hätte mich klar genug ausgedrückt!«, polterte Wegner los. Nawrod und Yalcin sahen sich fragend an. Wegner warf die aktuelle Ausgabe der Heidelberger Allgemeine auf Nawrods Schreibtisch.
»Wer von Ihnen beiden war das Waschweib, das die Geschichte mit dem Finger hinausposaunen musste?«
Yalcin erhob sich von ihrem Schreibtisch und ging zu Nawrod hinüber. Sie blieb neben Wegner stehen und schaute gebannt auf die Zeitung, die Nawrod gerade aufschlug. Die riesige Schlagzeile sprang ihnen geradezu ins Gesicht.
Rätselhafter Fingerfund
Seit gestern fahndet die Kripo Heidelberg nach einem Absender, der ein Paket an die Polizei schickte, in dem sich der Finger eines Menschen befand. Aus gut unterrichteten Kreisen war zu erfahren, dass der Adressat derselbe Kriminalkommissar war, der den spektakulären Selbstmord am Königstuhl aufklärte …
Nawrod las nicht weiter. Wutentbrannt knallte er die Zeitung auf den Schreibtisch. Sie traf die halb volle Kaffeetasse, und wie zum Spott breitete sich die braune Brühe auf mehreren Schriftstücken aus. Unweigerlich dachte er sofort an seinen Dezernatsleiter aus Stuttgart, der jahrelang ganz ungeniert einen Reporter mit allen Neuigkeiten des Stuttgarter Polizeipräsidiums versorgt hatte. Sollte das in Heidelberg ähnlich sein?
»Das ist ja zum Kotzen!«, brach es aus Nawrod heraus. »Warst du das?«, fuhr er Yalcin mit einem vernichtenden Blick an.
»Sag mal, spinnst du?«, giftete Yalcin zurück. »Du hast wohl als Kind nur einfarbig kneten dürfen. So etwas würde mir nicht mal im Traum einfallen. Für wen hältst du mich eigentlich? Wenn du das von mir denkst, ist es besser, wenn wir unsere Zusammenarbeit sofort beenden. Herr Wegner, ich bitte Sie …«
»Nun mal langsam«, unterbrach Wegner beschwichtigend. »Wenn Sie beide es nicht waren, wer kann es dann gewesen sein? Wer wusste von dem Paket?«
»Eigentlich nur Sabine Bauer, die wir mit den kriminaltechnischen Untersuchungen beauftragt haben«, erwiderte Nawrod barsch.
»Und Frau Lelle«, warf Yalcin ein. »Die hat das sicher auch mitbekommen. Nicht zu vergessen die Gerichtsmedizinerin, die Sabine bestimmt schon mit ins Boot genommen hat. Wer weiß, ob die es nicht gleich breitgetreten hat.«
Wegner atmete hörbar durch. »Finden Sie heraus, wie die Heidelberger Allgemeine an die Geschichte gekommen ist, damit wir in Zukunft entsprechende Vorsichtsmaßnahmen ergreifen können. Wie weit sind Sie mit Ihren Ermittlungen?«
»Wir warten auf Ergebnisse der Kriminaltechnik und der Rechtsmedizin. Erst dann können wir sagen, in welche Richtung wir konkret ermitteln«, erwiderte Nawrod. »Fest steht, dass es in Heidelberg zwölf Bestattungsinstitute, vier Kliniken und natürlich auch die Rechtsmedizin der Universitätsklinik Heidelberg gibt. Vorsichtig geschätzt, könnten von diesen Einrichtungen circa 1.500 Mitarbeiter als Absender des Päckchens infrage kommen.«
»Ein Bekannter von mir arbeitet in der Uniklinik als Krankenpfleger«, sagte Yalcin. »Er hat mir berichtet, er könne sich gut vorstellen, dass eine größere Anzahl von Beschäftigten der Klinik unkontrollierten Zugriff auf amputierte Gliedmaßen hat. Es gebe faktisch keine konsequente Überwachung bei der Entsorgung von menschlichen Körperteilen.«
»Wie es bei den Bestattungsinstituten aussieht, brauche ich ja nicht besonders zu betonen«, ergänzte Nawrod. »Es gibt heutzutage zahlreiche Verstorbene, nach denen kein Hahn mehr kräht, sobald sie in der Obhut der Leichenfledderer sind. Ich habe mal einen Bericht gelesen, in dem ausführlich beschrieben wurde, dass es bei denen an der Tagesordnung sei, Verstorbene ihres letzten Goldes zu berauben, indem man ihnen sämtliche Zähne zieht, die auch nur im Ansatz einen Schimmer des kostbaren Edelmetalls erkennen lassen. Von implantierten Herzschrittmachern und anderen hochwertigen Ersatzteilen ganz zu schweigen. Da ist die Entnahme
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