Die Suenden der Vergangenheit
schulterlangen Haare sahen jedoch wie gesponnenes Gold aus, die im warmen Kerzenschein des Zimmers geheimnisvoll schimmerten. Eingerahmt war er von ebenso eindrucksvollen Männern, deren Haare dunkel waren. Der Linke trug einen mächtigen Bogen über seine Schulter gestreift, der Rechte einen Speer in der Hand, dessen Spitze wie ein Blitz aussah. Die beiden Krieger ganz rechts waren die außergewöhnlichsten Erscheinungen. Der Erste hatte schuppige Haut auf den Schultern, die in allen Regenbogenfarben glitzerte, der Zweite schien zur Hälfte ein Vogel zu sein, da er auf dem Rücken grau gefiederte Schwingen trug.
Der Mann ganz zu ihrer Linken ergriff das Wort und sprach mit einer tiefen Bassstimme in einer Sprache, die Nico in Nicos Ohren fremdländisch klang. Sie kam ihr seltsam bekannt vor, doch sie verstand kein einziges Wort. Sein Gesicht war jugendlich mit warmen, braunen Augen, die sie gütig musterten. Sein welliges Haupthaar und sein langer Bart erstrahlten allerdings im reinsten Weiß.
Der Mittler ergriff das Wort und wies genau auf ihn.
„Darf ich vorstellen? Der Krieger Godh aus dem Haus Jehowáh . Er führte die Septentrio vor langer Zeit an. Seine Mitstreiter sind Marduk, der Drachenkrieger, Baal, der Spender von Fruchtbarkeit, Kothar, der Schmied, Dagon, Herr über das Wetter, Leviathan, der Beherrscher der Meere und Cherubim, der Engelhafte, aus dem Hause Harpyja .“
Einer nach dem anderen ging vor Nico in die Knie, ohne den Blickkontakt zu ihr zu unterbrechen. Ihre Blicke waren beinahe wie leichte Berührungen auf ihrer Haut zu spüren, so dass sie bald von einer Gänsehaut überzogen war, die vermutlich der mächtigen Präsenz einer ehemaligen und sagenumwobenen Septentrio zuzuschreiben war. In den orangeroten Augen des Kriegers Baal blitzte der Schalk auf, wobei er das Wort an den Mittler richtete, woraus Nico seinen Namen schloss, der mit einem exotischen Akzent ausgesprochen worden aber für sie dennoch verständlich gewesen war.
"Malakai Harpia?“, fragte Nico schüchtern, weil die Blicke der anderen noch auf ihr ruhten. Und auch wenn es sich dabei nur um Geister handelte, fand sie sie mehr als einschüchternd.
"Sie sind Romys… Romanas Vater!“, hauchte sie von der Erkenntnis überwältigt.
Seine Augen weiteten sich in kurzem Entsetzen, um sich dann mit einem dunklen Schleier der Trauer und des Schmerzes zu überziehen.
„Du kennst sie?“
In dieser Frage lag so viel Hoffnung, dass Nicos Herz sich zusammenzog. Sie wusste, dass Romana verloren gewesen war, weil ihre Mutter den Freitod gewählt hatte, so wie sie die anderen schmerzhaften Details aus dem Leben der Quadruga kannte.
„Sie ist Teil der Quadruga. Und zur Patrona eines neues Hauses berufen worden. Sie ist ein wunderbarer Mensch. Ich wünschte, du könntest sie sehen… Sie kannte dich bis vor kurzem gar nicht, aber durch ihre Fähigkeiten kann sie die Bilder der Vergangenheit sehen. Sie ist mit einem Krieger der jetzigen Riege verbunden.“
Auf Malakais Gesicht breitete sich ein Hoffnungsschimmer aus, der sofort verlosch, als Nico Chryses’ Namen nannte.
„Also nicht Theron…“
„Sie sind füreinander bestimmt… Romana ist sehr glücklich an seiner Seite!“, machte Nico den Versuch, den Mann zu beruhigen, dessen Gesicht schöner und schmerzlicher denn je wirkte.
Nico hätte ihn so gern getröstet und streckte die Hand rein instinktiv nach ihm aus, bis ihre Fingerspitzen seinen Umhang berührten. Da passierte es. Wie ein elektrischer Schlag. Seine Gestalt wurde durchsichtig und leuchtete einen Moment wie eine Skulptur aus Glas auf, auf die tausend kleine Lichter gerichtet waren. Nico gab einen kleinen Laut des Erstaunens von sich und zog die Hand abrupt zurück, deren Fingerspitzen prickelten.
„Vorsichtig! Du hast besondere Kräfte, Mädchen! Du kannst die Seelen der verstorbenen Immaculate durch Berührung sichtbar machen. Natürlich bleibt allein dir die wahre Sicht vorbehalten. Ich wollte Chryses nicht durch meine Worte herabsetzen. Er und Theron sind mir so lieb wie meine eigenen Kinder gewesen. Ihnen konnte ich wenigstens die Fürsorge angedeihen lassen, die mir bei Romana und Rebeka verwehrt worden ist. Ich wünschte, jemand wie du könnte sein Herz wieder öffnen! Du besitzt wahrlich ein Kämpferherz, Nicolasa!“
Nico spürte neue Tränen, die ihre Augen zum Glänzen brachten, diesmal war es aber reines Mitgefühl, das sie aufsteigen ließ. Sie hatte Theron bisher nur als unbeugsamen Anführer der
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